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95 Prozent der Gotteshäuser in Anhalt sind denkmalgeschützt Statt Verfall – Wohnen in der Kirche

Von Ute Hartling-Liebelang 19.08.2009, 08:20

214 Kirchtürme ragen in Anhalt weit ins Land. 95 Prozent davon sind denkmalgeschützt. Kirchenbaurätin Konstanze Förster-Wetzel gab Einblicke in ihre Arbeit und sprach über deren Erhaltung und Möglichkeiten der erweiterten Nutzung.

Warmsdorf / Dessau ( MZ ). Würde sich jemand die Mühe machen und die Kirchtürme in ganz Anhalt zählen, käme er auf die stattliche Zahl von 214. Neben den Gotteshäusern gehören auch noch 100 Pfarr- und Gemeindehäuser zum Gebäudebestand der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Um den baulichen Zustand dieser Gebäudesubstanz in den fünf Kirchenkreisen Zerbst, Dessau, Köthen, Bernburg und Ballenstedt kümmert sich seit 1994 Kirchenbaurätin Konstanze Förster-Wetzel, die ihr Büro in Dessau-Roßlau hat.

" 95 Prozent der Kirchen in Anhalt sind denkmalgeschützt und ein Drittel sind vor 1500 erbaut worden ", macht die Kirchenbaurätin den Umfang der Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen deutlich.

Die älteste Kirche Anhalts steht vermutlich in Gernrode im Harz. Sankt Cyriakos gilt als eines der bedeutendsten und am besten erhaltenen Zeugnisse ottonischer Architektur in Deutschland, Baubeginn für die Stiftskirche und den nahe gelegenem Frauenstift war im Jahr 959. Aber auch der Kirchenkreis Bernburg verfügt mit der romanischen Dorfkirche Sankt Stephani in Waldau über ein sehr betagtes Gotteshaus, dessen Ursprünge in das Jahr 964 zurückgehen sollen.

Vor der politischen Wende waren die meisten der anhaltischen Kirchen nur notdürftig über die Zeit gerettet worden. Nach 1990 konnte der Großteil dauerhaft gesichert werden. Die Kirchengebäude sind je nach Bauzustand in vier Stufen eingeteilt. Stufe eins bedeutet : sehr gut erhalten, keine oder nur unerhebliche Schäden. Stufe vier hingegen bedeutet : stark sanierungsbedürftig, zum Teil existenzbedroht und ruinös.

Während anfangs noch reichlich Fördermittel für Sanierungsmaßnahmen geflossen sind, steht nunmehr die Bauunterhaltung im Vordergrund. " Der Anteil der Kirchen in einem positiven Zustand konnte verdoppelt werden ", fasst Förster-Wetzel zusammen, wobei sie den noch verbleibenden Sanierungsbedarf nicht unterschätzen möchte. Jährlich werden im Durchschnitt eine Million Euro für Baumaßnahmen eingesetzt. 150 000 Euro der Mittel stammen aus dem Topf der Landeskirche, weitere 150 000 von den Kirchengemeinden, der Rest sind öffentliche Fördermittel und Sponsorengelder.

Im Jahr 2009 kann die Kirchenbaurätin resümieren : " 80 Prozent unserer Kirchen befinden sich im Bauzustand eins und zwei. " Wobei zwei bedeutet, dass noch kleinere Sanierungsarbeiten anstehen. 17 Prozent sind von ihrem Zustand her in Stufe drei einzuordnen ( größerer Sanierungsumfang ) und für lediglich drei Prozent gilt derzeit noch die Stufe vier. " Die sind zum Teil ganz oder teilweise gesperrt ", sagt Förster-Wetzel.

Während in den Kirchenkreisen Dessau und Bernburg keine Kirche gesperrt werden musste, sind im Kirchenkreis Köthen gleich mehrere betroffen. " Wir verfolgen eine Strategie ", sagt Förster-Wetzel und beruft sich auf eine Bauamtsleiterkonferenz aller Gliederkirchen der Evangelischen Kirche Deutschlands ( EKD ). Dort sei erklärt worden, dass es nicht um Nutzungsänderung, sondern um die erweiterte Nutzung gehe. Dort, wo die Kirchen durch Gottesdienste nicht mehr voll ausgelastet seien, müsse die Frage gestellt werden, wie man Kommune und Vereine mit ins Boot bekomme. Ausstellungen und Konzerte seien da nur eine Möglichkeit, weltliche Trauerfeiern eine andere. Verkaufen wolle man aber keine Kirche, sagt die Kirchenbaurätin, obwohl sie eine Einzelfallprüfung nicht grundsätzlich ausschließt.

Immerhin gab es in der Vergangenheit sowohl schlechte als auch gute Beispiele der Privatisierung. Für erstere steht die neue Stephanskirche in Waldau, die bereits vor vielen Jahren von der Kirche entweiht und verkauft wurde und jetzt immer mehr verfällt.

Ein positives Beispiel gibt es in Warmsdorf im Salzlandkreis. Hier wurde die 1884 erbaute, neugotische Kirche inzwischen zu einer Pension umgebaut. Die Eigentümer Christina und Klaus Gerner haben die Kirche 1990 privat erworben. " Zu diesem Zeitpunkt war die Kirche bereits 30 Jahre entwidmet und verfallen. In mühevoller Kleinarbeit wurde der Bau 1990 bis 1997 von unserer Familie sowie zahlreichen Freunden und Bekannten restauriert ". In dem historischen Denkmal entsteht nicht nur eine Frühstückspension, auch die Gerners selbst haben dort ihre Wohnung.

Von ähnlichen Plänen weiß Förster-Wetzel auch aus Thurau ( Altkreis Köthen ). Hier gibt es die Idee einer Radfahrerherberge mit kleinen Hütten um die Kirche. Sie stammt aus einem studentischen Wettbewerb ebenso wie die Nutzungsvariante für Kleinwülknitz, die ein Wohn- und Künstleratelier vorsah. Beide Konzepte seien aber derzeit aus finanziellen Gründen nicht durchsetzbar.