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Zukunftsdiskussion mit SPD-Spitze über Bildung im ländlichen Raum endet bei aktuellen Problemen mit der Schülerbeförderung Schulgesetz wird von der Realität überholt

Von Egmar Gebert 03.11.2010, 05:15

SPD-Spitzenkandidat Jens Bullerjahn war zusammen mit der sozialdemokratischen Landes- sowie Fraktionsvorsitzende Katrin Budde am Montagabend nach Stendal gekommen. Sie wollten ihrer Parteibasis und daran Interessierten erklären, wie SPD-bestimmte Bildungspolitik im Land im Allgemeinen und im ländlichen Raum im Speziellen nach der Landtagswahl 2011 aussehen soll. Aus der Zukunftsdiskussion wurde allerdings schnell eine gegenwärtige; befeuert durch die unübersehbaren Probleme, mit denen der Landkreis am Morgen dieses Tages in ein neues ÖPNV-System gestartet war.

Stendal. Jens Bullerjahn würde die vom Bildungskonvent erarbeiteten Empfehlungen – es waren mehr als hundert – zum Regierungspapier machen, denn "Bildung ist ein Schwerpunkt des SPD-Wahlkampfprogramms", sagte der Spitzenkandidat der sachsen-anhaltischen Sozialdemokratie zur Eröffnung der Diskussionsrunde im Stendaler Landratsamt. Demnach soll es dann mehr Ganztagschulen geben, natürlich auch mit dem dazugehörigen Personal. Auch das längere gemeinsame Lernen der Kinder soll auf die Tagesordnung. Das alles auf der Grundlage eines durchdachten Bildungskonzepts.

Dass die Empfehlungen des Bildungskonvents dafür taugen, ist Stephan Dorgerloh überzeugt. Er war einer der Moderatoren des Konvents und saß am Montagabend neben dem Landesvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Thomas Lippmann, als Bildungsexperte mit im Podium der Stendaler Diskussionsrunde. Es gehe um eine wirkliche Stärkung der Sekundarschulen und um die Chance für jeden Schüler, den bestmöglichen Schulabschluss zu erreichen, umriss er den Kern der Bildungsempfehlungen des Konvents.

"Die Kinder sitzen auf dem Schulweg zu lange im Bus"

Ob Stephan Dorgerloh wusste, wie nah er mit einer seiner nächsten, die generelle derzeitige Situation einschätzenden Bemerkungen der Realität im Landkreis Stendal kam, sei dahingestellt. Auf jeden Fall traf er den Nagel auf den Kopf als er feststellte: "Die Kinder sitzen auf dem Schulweg zu lange im Bus. Das ist Zeit, die ihnen verlorengeht." Es brauche neue, effektivere Beförderungsmodelle und möglichst lange, wohnortnahe Beschulung im Interesse der Kinder.

Das holte die Diskussion weg von den von der SPD-Spitze gewollten Zukunftsszenarien, zurück in die täglich erlebte Gegenwart im Landkreis Stendal. Silvana Schur, eine der Mütter aus Uenglingen, deren Kinder die Grundschule in Schinne und dort auch den Hort besuchen, wollte wissen: "Wie kann es sein, dass Grundschulkinder einen Zehn-Stunden-Tag haben und danach noch abends auf dem Heimweg in einen anderen Bus umsteigen müssen?"

Mit dem seit Montag dieser Woche vollzogenen Systemwechsel beim ÖPNV im Landkreis und der damit verbundenen Neuordnung des Schülerverkehrs ist das so.

"Eine unzumutbare Sache", fand auch Heike Schäfer, stellvertretende Leiterin der Stendaler Diesterweg-Sekundarschule, die sich ebenfalls in die Diskussion einbrachte. Sie allerdings ist überzeugt, "dass da nachgebessert wird." Letzteres versprach die im Publikum sitzende stellvertretende Landrätin Annemarie Theil, warb jedoch um Verständnis für die "Turbulenzen", die diese "komplett Umstellung des Systems" mit sich bringt. "Wir bemühen uns, das mit dem Umsteigen wegzubekommen, aber haben sie bitte noch etwas Geduld."

Eine Sache, bei der die Landespolitik außen vor ist? Auch wenn die SPD-Podiumsrunde das so sah, und Katrin Budde meinte, das Land könne "nur den Rahmen vorgeben", den der Landkreis dann ausgestalte, ließ sie Edith Braun, SPD-Mitglied und Vorsitzende des kreislichen Schulausschusses, ihre in Magdeburg mit Regierungsverantwortung tragende Parteispitze nicht aus selbiger heraus.

Der neue Schülerverkehr richte sich nach dem, was das Schulgesetz Sachsen-Anhalts vorgebe, aber das entspreche schon lange nicht mehr der Realität und dem Bedarf im Landkreis. Geharnischte Kritik richtete Braun aber auch an den Landkreis, der es im Vorfeld versäumt habe, Schulen und Eltern in den Prozess der Neuordnung des Schülerverkehrs einzubeziehen. "Das hätte schon vor einem Jahr passieren müssen."

Jens Bullerjahn bat darum, mit denen, die diese Fahrplan-umstellung zu verantworten haben, fair umzugehen und mit nach Möglichkeiten zu suchen, die Situation zu ändern. Sein Vorschlag, Hortverkehr eventuell über einen Verein zu organisieren, fand keine Gegenliebe, sondern ein klare Übersetzung, seitens der betroffenen Eltern. Silvana Schur: "Das heißt, wir sollen den Hortbus selbst bezahlen und damit dafür bestraft werden, dass wir arbeiten gehen?"

"Für die Altmark andere Modelle als heute"

Bernd Zürcher, Regionalleiter des Paritätischen, empfahl den Landespolitikern – bewusst überspitzend –, sich einfach einmal in so einen Bus zu setzen und eine Fahrt mit dem Schülerverkehr mitzumachen. "Wer nicht aus der ländlichen Region kommt, kann das sicher nur schwer nachvollziehen."

SPD-Spitzenmann Bullerjahn kommt vom Lande, wohne in einem Dorf im Vorharz, wie er betonte und dann auch einräumte: "Es würde Sinn haben, einen regionalen Bedarfsplan für die Altmark aufzustellen. Ich bin dafür, dass Schulgesetz für solche Diskussionen zu öffnen. Im nächsten Jahr wird das geschehen und ich kann mir vorstellen, dass es dann für die Altmark andere Modelle gibt als heute", sagte Bullerjahn zum Abschluss dieser Podiumsdiskussion.