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Gelebte Städtepartnerschaft: Gerhard und Dag Dreier zogen kurz nach der Wende nach Stendal Die Einwanderer aus Lemgo

Von Nora Knappe 04.09.2013, 03:11

Stendal l Am 31. August vor 25 Jahren wurde die Städtepartnerschaft Stendal-Lemgo besiegelt. Eine echte "Partnerschaftsfamilie" sind die Dreiers: Sie kamen kurz nach der Wende nach Stendal - und fanden hier ihr neues Zuhause.

War es die seit 1988 wachsende Städtepartnerschaft zwischen Stendal und Lemgo? Oder war es der hilfsbereite Verkehrspolizist in Röxe? Oder war es die Gastfreundschaft der Stendaler? Vielleicht war es einfach alles zusammen, das schließlich dazu führte, dass Familie Dreier aus Lemgo in Stendal heimisch wurde.

Doch von vorn: Statt am 9. November 1989 in den Geburtstag seiner Frau reinzufeiern, starrte Gerhard Dreier mit ihr und den beiden Kindern wie gebannt auf den Fernseher. Der Fall der Berliner Mauer wirbelte alles durcheinander. Wenig später machte sich Gerhard Dreier, seit den 70er Jahren in der Elektrogerätebranche selbständig, mit seiner Familie auf den Weg in die Partnerstadt Stendal. "Wir wollten hier einem Betrieb fachliche Unterstützung und Schulung anbieten", erzählt Gerhard Dreier (65). Vermittelt wurde ihnen der Kontakt zu Lutz Abagat, der sich mit Waschmaschinenreparatur und -verkauf selbständig machen wollte.

"Stendal war damals was ganz Verrücktes."
Dag Dreier (43)

Im Januar 1990 fuhren Dreiers also das erste Mal nach Stendal - und als sie in Röxe plötzlich nicht mehr mit dem Anfahrtsweg weiterwussten, half ihnen besagter Verkehrspolizist und geleitete sie bis zur gesuchten Adresse. Die Begegnung war herzlich, ein Gegenbesuch der Abagats folgte wenig später, die Kooperation war besiegelt.

"Aber für eine Firmengründung hätte Herr Abagat den fachlichen Hintergrund haben müssen, was nicht der Fall war, weil er aus der Wohnungsbauwirtschaft kam", sagt Dreier senior. Und so kam Sohn Dag Dreier ins Spiel, damals 20 und Elektrogeselle. "Ich habe erst hin und her überlegt, war dann aber schnell begeistert, etwas Neues zu wagen", erinnert sich Dag Dreier, heute 43 Jahre alt. "Und Stendal war zu der Zeit damals aus unserer Perspektive was ganz Verrücktes." Von der Aufbruchstimmung, die noch einige andere Lemgoer Firmen erfasste, haben sich also auch die Dreiers anstecken lassen.

Gemeinsam mit Lutz Abagat als Kompagnon begannen Dreiers im Mai 1990 auf dem ehemaligen Sportplatz der Russenkaserne zu bauen, an der Scharnhorststraße, wo noch heute der Sitz der Firma "Altmark Hausgeräte" ist. Ende August 1990 war Einweihung, und Gerhard Dreier weiß noch genau, was sie als Erstes verkauften: "Das war eine Spülmaschine, die wurde von Familie Pribitz gekauft."

Der Lemgoer Unternehmer begann mit sechs Mitarbeitern - allesamt aus Stendal. Sie waren eine Woche zu Gast in Dreiers Betrieb in Lemgo und entschieden sich dann für die Firma, wurden in Stendal eingestellt. Einer von ihnen ist heute noch unter den inzwischen 14 Mitarbeitern.

Vorurteile und Wessi-Klischees mussten sich Dreiers nie anhören, sagen sie. Nur manchmal, räumt Dreier senior ein, sei in seiner Generation der Neid auf erfolgreiche Unternehmer zu spüren. Dennoch - den Osten Deutschlands mag er sehr, findet Städte und Regionen wie Bautzen, Wörlitz und Thüringen schön. Viele Reisen haben ihn schon in die schönsten Ecken dieses Teils der Republik geführt.

"Heimat ist da, wo Sie sich wohlfühlen."
Gerhard Dreier (65)

Vermissen sie Lemgo? Vater und Sohn sagen nein. Vielleicht liegt es daran, dass sich Stendal und Lemgo so ähnlich sind - die Größe der Stadt, die Zahl der Einwohner, die Altstadt, die Fachwerkhäuser, das Grün, die Wallanlagen, die Infrastruktur... "Nach 20 Jahren haben wir hier aber auch einfach den größeren Freundeskreis", sagt Dag Dreier, der sich in Stendal von Anfang an willkommen fühlte. Besonders die für Ostdeutschland typische Gepflogenheit, sich bei der Begrüßung die Hand zu geben, gefällt ihm. "Das schafft doch auch unter einander Unbekannten gleich eine vertrautere Ebene."

Und nicht zu vergessen: In Stendal hat er auch seine neue Lebensgefährtin kennengelernt - diese ganz private Städtepartnerschaft besteht nun schon sieben Jahre.

Dag Dreier fährt nur noch selten nach Lemgo, zwei- oder dreimal im Jahr. Sein Vater Gerhard hingegen etwas öfter, schließlich leben seine Geschwister dort. Aber auch für ihn ist Stendal längst zum neuen Zuhause geworden: "Heimat ist da, wo Sie Ihre Freunde haben, wo Sie sich wohlfühlen."