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Schüler in Lüderitz sind von Instrument aus dem Mittelalter fasziniert: "Das klingt ja gar nicht so alt"

Von Kristin Schröder 17.12.2010, 04:25

Die Musikerin Eva Weiss aus Hannover war gestern in der Lüderitzer Grundschule zu Gast, um den Kindern ein Märchen auf musikalische Art zu erzählen. Sie hatte vielerlei Instrumente dabei. Eines war ein ganz besonderes. Sie hatte eine Gambe mitgebracht.

Lüderitz. Ratlosigkeit herrschte zunächst bei den 54 Jungen und Mädchen der ersten und zweiten Klasse der Lüderitzer Grundschule, als die Musikpädagogin Eva Weiss gestern das seltsame Instrument zeigte. Die Kinder sollten raten, um welch ein Instrument es sich dabei handele.

"Gitarre", rief ein Kind, "Kontrabass" ein anderes, aber das war ebenso falsch wie die "Violine", die auch noch vorgeschlagen wurde.

"Das ist eine Gambe", sagte die Hannoveranerin. "Auf Italienisch heißt das ¿Viola da gamba‘ und bedeutet etwa soviel wie ¿Violine am Bein‘". Das klinge auch viel schöner, meinte sie.

Eva Weiss erzählte den Schülern, dass die Gambe ein sehr altes und wenig bekanntes Instrument sei. Sie klemmte sich die Gambe zwischen ihre Beine und zeigte, wie diese mit dem Bogen gespielt wird. "Es ist mein Lieblingsinstrument", sagte die studierte Musikerin. Aus diesem Instrument, welches schon im 15. Jahrhundert verwendet worden sei, wären die Geige, der Kontrabass und auch die Gitarre hervorgegangen. "Und von diesen wurde die Gambe dann mehr und mehr verdrängt."

Sie wolle mit dem Instrument eine Geschichte vertonen, erzählte sie den Kindern. "Und zwar das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten."

Jedem Tier wies die Musikerin eine Tonfolge zu, die sie immer wieder auf der Gambe spielte, wenn das Tier in der Geschichte agierte.

So erzählte Weiss das Märchen der Gebrüder Grimm nach und benutzte auch viele andere Instrumente. Ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn wurden nicht mehr von ihren Besitzern gebraucht und flüchteten, als ihre Besitzer sie töten wollten. Die Musikerin spielte dazu eine traurige Melodie.

Als die Tiere sich im Wald treffen, erzählte Weiss die Dialoge der Tiere und spielte auf der Gambe eine fröhlichere Melodie.

Was der Unterschied zwischen beiden Melodien ist, hatte die Frau mit den kurzen, grauen Haaren und der freundlichen Mimik den Kindern an Beispielen vorher gezeigt. "Musik ruft Emotionen hervor", hatte sie den Kindern gesagt. "Wenn ihr etwas hört, dann verbindet ihr das mit Gefühlen", erklärte sie den staunenden Jungen und Mädchen.

"Auf ihrem Weg nach Bremen finden sie eine Hütte im Wald und wollen dort übernachten", erzählte Eva Weiss weiter. Mit lauten Trommelgeräuschen verdeutlichte sie den Kindern die Bedrohlichkeit, welche die Tiere den zu Tode erschrockenen Räubern vorgaukelten.

Die vier Tiere vertrieben die Räuber, die sich in der Hütte versteckt hielten und wohnten fortan in der Hütte, fuhr sie mit dem Märchen fort.

Den Mädchen und Jungen war ihre Traurigkeit, als die Tiere flüchten mussten, ebenso anzusehen wie der Schrecken durch die "wütenden Geräusche", die Weiss auf der Gambe spielte, als die Räuber vertrieben wurden. Ebenso war aber auch die Freude über den guten Ausgang der Geschichte in den Gesichtern abzulesen.

Die Diplom-Musikerin Eva Weiss mag neben der Musik auch Lyrik sehr. Daher unterlegt sie diese mit Musik und Geräuschen und besucht Schulklassen im gesamten Bundesgebiet. "Ich möchte den Kindern so einen Zugang zu beidem ermöglichen, Musik und Literatur."

Mit neun Jahren habe sie begonnen, auf der Gambe zu spielen. Später wurde es während des Studiums ihr Hauptfach. "Bereits mein Vater hat die Gambe gespielt, dadurch bin ich mit dem Instrument schon vertraut gewesen", sagt sie. Die Leidenschaft für die Gambe und alte Kammermusik ziehe sich wie ein roter Faden durch ihren Lebenslauf. "Mit 18 Jahren bekam ich eine eigene Gambe, die ich auch heute dabei habe, und spiele seitdem Kammer-Konzerte."

Sie spielte gestern auch Stücke aus dem Jahre 1605 vor, was großes Erstaunen bei den Kleinen hervorrief. "So alt klingt das gar nicht", fand ein Mädchen. Die anderen stimmten ihm zu.