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Ob die Stadtratswahl wiederholt wird, steht erst 2015 fest Eine einzige Fälschung entscheidet

Auch nach der Wiederholung der Briefwahl ist weiterhin ungewiss, ob der Stadtrat jetzt ordnungsgemäß gewählt ist. Die Fälschungsvorwürfe in einer zweistelligen Größenordnung sorgen für zahlreiche Unwägbarkeiten. Hier eine Übersicht, was noch passieren kann:

13.11.2014, 07:06

Stendal l Für Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt steht fest: "Die Wiederholung der Briefwahl muss rechtssicher sein." Sonst werde er selbst Einspruch gegen das Ergebnis einlegen.

Knapper geht es dabei nicht: Da zwischen Susanne Sommer und Stephanie-Wilhelmine Schulz bei den Linken bereits das Los entscheiden muss, wer von beiden auf dem elften und letzten Platz der Linken einziehen kann, ist jede Stimme relevant für ein korrektes Ergebnis.

Sollte sich daher unter den 837 gültigen Stimmmzetteln noch einer befinden, der auf einer gefälschten Unterschrift beruht, kann dies - zumindest in der Theorie - die Zusammensetzung des Stadtrates beeinflussen. Das wäre dann ein Anfechtungsgrund für die Wahl.

Die Entscheidung liegt am Ende beim Stadtrat. Sie wird nicht vor Anfang des nächsten Jahres fallen (siehe Kasten). Hier ein Überblick über bisherige Unregelmäßigkeiten und deren mögliche Konsequenzen.

Gefälschte Vollmachten

Kurz vor der Wiederholungswahl wurde jedoch die neue Dimension deutlich: Bis zu einer hohen zweistelligen Zahl dürfte nach Volksstimme-Informationen die Zahl der Vollmachten und wohl auch die Stimmabgabe selbst gefälscht worden sein. Die Staatsanwaltschaft ließ daher am vorigen Mittwoch die Wohn- und Geschäftsräume von fünf Verdächtigen durchsuchen - darunter die CDU-Kreisgeschäftsstelle.

Sechs Personen wurde am Wahltag die Wahl verweigert

Die Aktion kam gerade noch rechtzeitig, um bei der Wiederholungswahl in diesem Punkt den Schaden einzugrenzen: Wer zu den 189 gehörte, die am Wahltag erneut wählen wollten, wurde befragt, ob er oder sie für die Mai-Wahl eine Vollmacht für die Abholung der Briefwahlunterlagen erteilt hatte. War dies nicht der Fall, durften sie auch nicht wählen. Dies betraf sechs Fälle. Drei Stendaler versicherten hingegen, dass sie damals eine Vollmacht erteilt hatten - sie durften wählen.

Der Wahlvorstand durchforstete am Sonntag vor der Auszählung zudem alle eingegangenen Wahlbriefe: Elf Umschläge samt Inhalt von Wählern, die zu den 189 gehörten, wurden aussortiert. Sie sollen jetzt überprüft werden, ob bei ihnen im Mai Unterschriften gefälscht worden sind. Ist dies der Fall, wird der Stimmzettel nicht gezählt. Liegt eine Vollmacht vor, sollen die Stimmen nachträglich noch gewertet werden.

In diesem Fall beabsichtigt der Stadtwahlleiter, die Anzahl dieser gültigen Stimmzettel mit den bislang 837 ausgewerteten zu vermischen und die Wiederholungswahl neu auszählen zu lassen. Wahlleiter Kleefeldt hofft, dass bis zur nächsten Woche Klarheit über die Echtheit der Unterschriften erzielt werden kann.

Prognose: Mit diesem Verfahren dürfte ausgeschlossen sein, dass von den 189 eine unberechtigte Wahl erfolgen konnte. Ein Risiko bleibt: Werden nur wenige der aussortierten Stimmzettel doch wieder zugelassen und verändert sich dann das Ergebnis nur zu Gunsten einer Partei oder Person, dann wäre das Wahlgeheimnis nicht gewahrt = Neuwahl. Ob dies überhaupt so funktionieren kann, muss die Kommunalaufsicht entscheiden. Sie hat einen Bericht des Stadtwahlleiters angefordert.

Unberechtigt verschickte Wahlbenachrichtigungen

Bei der Zusendung der Wahlbenachrichtigungen ist es Mitte Oktober zu einer technischen Panne gekommen. Im Ergebnis erhielten 16 Stendaler Wahlbenachrichtigungen für die Wiederholungswahl, die aber gar nicht wahlberechtigt waren.

Nach Veröffentlichungen der Volksstimme glich die Stadt das Wählerverzeichnis ab, filterte diese 16 heraus und korrigierte ihr Wählerverzeichnis. In acht Fällen handelte es sich um Personen, die am 25. Mai im Wahllokal gewählt haben, in deren Namen aber zuvor per Brief gewählt worden war (Volksstimme berichtete).

Acht weitere hatten im Mai Unterlagen in einem anderen Wahllokal erhalten als in dem, wo sie eigentlich wahlberechtigt waren. Diese Konstellationen waren bei einem Wechsel des EDV-Systems nicht berücksichtigt worden.

Prognose: Kein Ruhmesblatt fürs Rathaus - aber der Fehler fiel noch rechtzeitig auf und konnte behoben werden. Daher: unkritisch.

Erneute Sammelaktion von Vollmachten

Ungeachtet des großen Aufsehens, die die Stendaler Briefwahl-Panne und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Wahlfälschung seit dem Sommer ausgelöst haben, sind nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei ab Mitte Oktober wieder Unbekannte umhergezogen und haben gezielt Briefwahlberechtigte um eine Vollmacht gebeten.

Wie der Stadtwahlleiter dem Wahlausschuss berichtete, soll es zehn Fälle geben, bei denen der inzwischen der Polizei bekannte Mann die Wahlbenachrichtigungen - teilweise blanko - erhalten hat. Da die Personen bekannt sind, gehörten sie mit zu den Fällen, die aussortiert worden wären. Es ging jedoch von ihnen kein Wahlbrief ein.

Prognose: Die zehn bekannten Fälle sind geklärt worden. Es gibt aber Gerüchte, dass es mindestens einen weiteren Unbekannten geben soll. So besteht der Verdacht einer Dunkelziffer. Wenn es hier in den nächsten Wochen noch neue Erkenntnisse gibt, wackelt die Wahl.

Fälschungen im Rahmen von bis zu vier Vollmachten
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind nicht auf die Fälle beschränkt, in denen mehr als vier Vollmachten vorliegen. Den Ermittlern geht es um "strafrechtliche Relevanz". Diese könne "selbstverständlich auch in anderen Fällen gegeben sein", erklärte Oberstaatsanwältin Brigitte Strullmeier. Indes dürfte es vor einer Entscheidung des Stadtrates über die Gültigkeit der Wahl hier "mit Sicherheit bis zum Jahresende weitere Erkenntnisse geben, da die Ermittlungen ja zügig fortgesetzt werden", so Strullmeier.

Prognose: Hier lagert Sprengstoff pur. Taucht noch eine Vollmachts-Fälschung auf und der- oder diejenige hat mit der neuen Wahlberechtigung am Sonntag gewählt, sind drei Stimmen im aktuellen Wahlergebnis, die dort nicht sein dürften das würde eine komplette Neuwahl bedeuten.

Geschlossener Rücktritt des gesamten Stadtrates
Der Stadtrat ist kein Parlament. Er kann sich nicht per Beschluss selbst auflösen wie ein Bundes- oder Landtag, so verworren eine Situation auch sein mag. Was bleibt, wäre ein kompletter Rücktritt der 40 Ratsmitglieder. Doch auch dann gibt es keine Neuwahl. Vielmehr müssten auch die 62 Ersatzpersonen ihr Mandat nicht annehmen. Erst das zöge eine komplette Neuwahl nach sich. Sollte jemand nicht zurücktreten, bleibt er im Rat und es gibt so genannte Ergänzungswahlen.

Prognose: Ein geschlossener Rücktritt ist wohl nur eine theoretische Option. Es kann zudem niemand verlangen, ein bei einer - in diesem Fall - anerkannten Wahl erreichtes Mandat zurückzugeben.