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Bereitschaftspraxis im Stendaler Johanniter-Krankenhaus wird nicht richtig angenommen Bagatellfälle blockieren Notfallambulanz

Von Volker Langner 18.03.2015, 02:25

Noch zu oft blockieren Bagatellfälle die Stendaler Notfallambulanz, sorgen für zu lange Wartezeiten. Dagegen herrscht in der im Oktober 2014 eingerichteten Beitschaftspraxis nicht selten gähnende Leere.

Stendal l Während der Heimwerker, der mit dem Bohrer abgerutscht ist, sich mit blutendem Arm und schmerzverzerrtem Gesicht in die Notfallambulanz des Stendaler Johanniter-Krankenhauses schleppt und recht fix vom Arzt begutachtet und versorgt wird, geht das stundenlange Warten für den Jogger weiter, der gestrauchelt ist und nun einen pochenden Schmerz im geschwollenen Knöchel spürt. Die Wartefläche ist nämlich prall gefüllt.

Für Dr. Ingo Genz, Radiologe im Krankenhaus, und Allgemeinmediziner Dr. Jörg Böhme, Kreissprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, ein gewohntes Bild. Zu oft werde die Notfallambulanz genutzt, ohne dass echte Notfälle vorliegen, sind sich die beiden Mediziner einig. "Die Notaufnahme wird als fachärztliche Praxis missbraucht", redet Böhme Klartext. Genz pflichtet ihm bei: "Wir verzeichnen immer mehr Bagatellfälle, mit denen die Leute kommen." Das reiche vom Schnupfen bis zu chronischen Rückenschmerzen, unter denen der Patient schon seit Wochen leidet. Statt den Hausarzt oder den Facharzt aufzusuchen, wählt er den Weg in die Notaufnahme oder fordert einen Notarzt an, in der Hoffnung, quasi von jetzt auf gleich geheilt oder zumindest von den Beschwerden befreit zu werden. "Das aber können Notaufnahme und Notarzt nicht leisten", erklärt Böhme und fügt an: "Wir vergeuden Ressourcen, die wir nicht haben." Er verweist auf die langen Wartezeiten in der Notfallambulanz und - was schwerer wiegt - medizinisches Personal, das für Notfälle blockiert wird. Genz dazu: "Die Patientenströme lassen vieles aus dem Ruder laufen."

Während die Notfallambulanz mitunter überzuquellen droht, fristet die Notfallsprechstunde der Bereitschaftspraxis, die im vergangenen Oktober im Krankenhaus eingerichtet wurde, noch ein Schattendasein. Dort verlieren sich zu den Sprechzeiten mittwochs und freitags durchschnittlich pro Stunde lediglich ein bis zwei Patienten. An Sonnabenden, Sonntagen und Feiertagen sind es lediglich drei bis vier pro Stunde.

30258 Patienten 2014 in der Notfallambulanz

Während die Notfallambulanz im vorigen Jahr 30258 Patienten verzeichnete, kamen in den ersten fünf Monaten seit Eröffnung der Bereitschaftspraxis, also von Anfang Oktober bis Ende Februar, 928 Patienten. Diesen kassenärztliche Bereitschaftsdienst sichern übrigens etwa 80 niedergelassene Ärzte aus dem Kreis Stendal ab. Doch dieser Dienst ersetze nicht die Besuche beim Haus- oder Facharzt. "Er ist für akut Erkrankte vorgesehen und für akute Verschlechterungen einer chronischen Erkrankung. Lebensbedrohliche Fälle gehören natürlich in die Notfallambulanz", nennt Böhme als Faustregel. "Gehfähige" Patienten, die nicht bis zum nächsten Tag warten können, weil die Beschwerden zu stark sind, seien damit angesprochen. Wer unsicher sei, könne sich auch unter der Notrufnummer 116117 beraten lassen.

Lediglich ein Drittel der Patienten, die die Notfallambulanz aufsuchen, sind dort richtig. Ähnlich schätzt Böhme den Einsatz der Notärzte ein. Der Mann, der ohne Alkohol nicht sein kann und nach durchzechter Nacht den Notarzt unter einem Vorwand ruft, um bequem nach Hause zu kommen oder sich im Krankenhaus auszuschlafen, und die Frau, die über 100-mal im Jahr den Notruf wegen der stets gleichen Beschwerden wählte, aber sich bei keinem Spezialisten vorstellt, sind sicher die Ausnahme, aber letztlich nur die Spitze eines Eisberges.

So sei er schon aufs Land gerufen worden, wo sich dann herausstellte, dass der Patient ein Rezept benötigte - um es einzulösen, musste er nach Stendal fahren. "Für einen anderen Patienten, der dringend Hilfe bedarf, kann sich dadurch natürlich das Warten auf den Arzt verlängern."