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Rita Antusch ist seit 25 Jahren Mitglied im Stendaler Stadtrat und damit die große Ausnahme "Wie ein Dackel, der sich festbeißt"

Von Bernd-Volker Brahms 29.05.2015, 03:21

Bei der Kommunalwahl im Mai 1990 wurde die damals 43-jährige Horterzieherin Rita Antusch in den Stadtrat gewählt. Mit Akribie und Herzblut ist sie bis heute dabei. "Es macht mir immer noch Spaß", sagt die sechsfache Oma und zweifache Uroma.

Stendal l Rita Antusch ist pflichtbewusst. In 25 Jahren hat sie nur zwei Stadtratssitzungen verpasst. "Einmal musste unsere Katze eingeschläfert werden, ein anderes Mal war Elternabend in der Schule", erinnert sich die 68-Jährige. Das Pflichtbewusste habe sie im Elternhaus mitbekommen, sagt die gebürtige Walslebenerin. Sie wuchs mit sieben Geschwistern auf. Ihr Vater Otto Nawrocki, der 2013 mit 90 Jahren an der Leichtathletik-WM teilnahm, war bei der Bahn und gelangte 1955 mit der Familie nach Stendal.

Ein Kleiderschrank voller Stadtratsunterlagen

Bis zur Wendezeit hatte Rita Antusch, die als Horterzieherin an der Wilhelm-Pieck-Schule (heute Nord) arbeitete, mit Politik gar nichts zu tun. Später kniete sie sich als Sozialdemokratin umso mehr hinein, bis heute. "Ich bin wie ein Dackel, der sich festbeißt", sagt sie über sich selbst. Als Ende 1989 die Leute auf die Straße gingen, habe sie sich als vierfache Mutter noch nicht richtig getraut. "Es hätte auch ja alles anders ausgehen können", sagt sie. Ihre erste Fahrt in den Westen führte sie im Dezember 1989 auch erst Wochen nach der Grenzöffnung zu Verwandten nach Würzburg. "Ich bin etwas vorsichtiger veranlagt."

Umso klarer zeichneten sich für sie alsbald die Chancen im neuen System ab. "Mir lag sehr viel daran, dass Kinder andere Möglichkeiten nutzen konnten", sagt die heutige vierfache Oma und zweifache Uroma zu ihrer Motivation, sich politisch zu engagieren. Am 8. Januar 1990 trat sie der damals noch als SDP bezeichneten Partei ein, die zur Kommunalwahl dann als SPD antrat. "Ich hatte aus der Zeitung von der Parteigründung gelesen." Sie gehörte am 6. Mai zu den 21 SPD-Vertretern, die in die 70Köpfe zählende Stadtverordnetenversammlung einzog. Zusammen mit Reiner Instenberg ist sie - fraktionsübergreifend - die Einzige, die heute nach 25 Jahren immer noch dabei ist.

"Die Anfangszeit war aufregend", sagt Antusch. Oft seien Sitzungen schon mal bis 23.30 Uhr gegangen. Auch vom ersten Haushaltsplan sei sie regelrecht erschlagen worden. "Da habe ich gedacht, damit wirste nie klarkommen", erinnert sie sich. Sie habe sich dann Nachhilfe bei den Schwiegereltern geholt, die in einer LPG gearbeitet und mit Zahlen zu tun hatten. "Der Haushalt ist bis heute das, was mich am meisten interessiert", sagt sie. Dort werde politischer Spielraum abgesteckt. Ohnehin ist es ein Steckenpferd von ihr, bei Sitzungen akribisch mitzuschreiben. "Wir haben einen ganzen Kleiderschrank voller Unterlagen", sagt Ehemann Johannes mit einem Augenzwinkern.

Bittbrief an Kanzler Helmut Kohl geschrieben

Mit einem Schmunzeln muss Rita Antusch daran denken, dass sie im Juni 1991 dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) einen Brief schickte und um Hilfe beim Bau eines Spielplatzes in Süd bat. "Ich war zuvor bei der Verwaltung von einer Ecke in die andere geschickt worden." Sie bekam Antwort aus dem Kanzleramt. Im Schreiben teilte man ihr mit, dass der Spielplatz nicht im Kompetenzbereich des Kanzlers liege. "Ich habe trotzdem nicht nachgegeben, irgendwann war der Spielplatz da", sagt sie. "Du bist kriminell anständig", habe mal jemand über sie gesagt. Das Engagement für Schwächere ist ihre Antriebsfeder. Jahrelang hat sie einem Stalkingopfer beigestanden. Auch ist sie jeden Mittwoch als "Grüne Dame" im ehrenamtlichen Besuchsdienst im Krankenhaus.

Zu den beindruckendsten Momenten in ihrer 25-jährigen lokalpolitischen Arbeit zählt sie die konstituierende Sitzung der Stadtverordnetenversammung und dann zwei Besuche von Regine Hildebrandt in Stendal. Die sei so herzlich und unkonventionell gewesen. "Bei einem Mal im Rathaus vor 200 Besuchern hat sie einfach die Schuhe ausgezogen."