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Asylbewerber im Kreis Stendal Denis Gruber: "Wir hoffen, dass viele hierbleiben"

15.07.2015, 17:02

Der Landkreis plant, Asylbewerber-Kinder auf Landschulen zu verteilen. Möglicherweise können von der Schließung bedrohte Schulen so gerettet werden. Volksstimme-Redakteur Bernd-Volker Brahms sprach mit dem zuständigen Beigeordneten Denis Gruber.

Volksstimme: Herr Gruber, derzeit kommen rund 60 Asylbewerber monatlich in den Landkreis. Wie klappt die Unterbringung?
Gruber: Die Gemeinschaftsunterkunft ist zu 80 Prozent ausgelastet und mehr als 40 Prozent aller Asylbewerber wohnen derzeit in der Gemeinschaftsunterkunft. (Rund 80 Prozent beziehen die Gemeinschaftsunterkunft.) Bisher hatten wir noch Kapazitäten. 50 Prozent von ihnen bekommen über kurz oder lang ein Bleiberecht. Es werden auch Menschen wieder abgeschoben, d.h., dass es monatlich nicht mehr als 60 sind.

Abschiebungen werden auch praktiziert?
Ja, wir bringen diese Personen zum Flughafen. Manchmal sieht man einige sogar wieder, wenn sie es ein weiteres Mal versuchen. Aber um noch mal auf die Unterbringung zurückzukommen, es wird zunehmend auch dezentral untergebracht. In Stendal stellt die SWG Wohnungen zur Verfügung. Es werden jetzt auch vier Wohnungen in Uchtspringe angemietet, in zwei bis drei Monaten soll es auch in Osterburg Unterbringungen geben. Zahlreiche Bürgermeister aus dem Kreis haben sich gemeldet und möchten Menschen in ihren Orten aufnehmen, auch um dem Leerstand zu begegnen.

Wie hoch ist der Anteil der Kinder bei den Neuankömmlingen?
Der Anteil ist hoch und liegt zwischen 40 und 45 Prozent. Rund 20 Prozent der Kinder sind im Vorschulalter. Zu etwa gleichen Teilen sind es Kinder aus dem Grundschul- und Sekundarschulalter sowie Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren, die die Berufsschule besuchen. Der Anteil an Familien war schon immer recht hoch, doch nachdem in einer Unterkunft in Thüringen eine Seuche ausgebrochen war, kam ein größerer Schwung nach Stendal. Momentan sind es neben diesen Familien vor allem alleinreisende Männer, die aus dem Ausland kommen.

Warum bemüht sich der Landkreis Stendal gerade um die Familien?
Es besteht die Hoffnung, dass viele hierbleiben. Wir können die Schülerzahlen aufstocken. Gerade dort, wo wir nach dem Demografie-Check die Mindestzahlen für Schulen nicht erreichen und auch für das Stark III-Programm, mit dem Schulen saniert werden, besteht für uns die Hoffnung, dass sich das positiv auswirkt.

Wann werden erste Kinder außerhalb von Stendal betreut?
Es soll nach den Ferien losgehen. Allerdings wollen wir vorerst keine Vorschulkinder außerhalb der Stadt betreuen. Das kommt nicht in Frage. Bei den schulpflichtigen Kindern werden wir zunächst mit 20 Plätzen an der Grundschule in Arneburg beginnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es immer eine gewisse Fluktuation gibt. Die Kinder werden mit Bussen über den ÖPNV nach Arneburg gebracht. In absehbarer Zeit kommt auch die Grundschule Lüderitz in Betracht. Wenn es noch mehr Kinder aus dem Sekundarbereich gibt, dann werden wir die Schule in Goldbeck nutzen. Die Kapazitäten in Stendal sind erschöpft. Und wenn Familien demnächst nach Osterburg ziehen, kommen natürlich die Schulen dort auch in Betracht. Mit dem Bürgermeister Osterburgs wurden hierüber Gespräche geführt.

Sie haben Elternabende in Grieben, Lüderitz und Arneburg gemacht. Um es vorsichtig auszudrücken, sind Ihnen dort große Bedenken entgegengeschlagen.
Wir nehmen diese Bedenken sehr wahr und haben auch damit gerechnet. Im Kern drehen sich die Bedenken um die Frage, ob das Lernniveau der Klasse sinkt, wenn Kinder aus anderen Kulturen dabei sind. Man muss ehrlich sagen, dass es wissenschaftlich recht unterschiedliche Bewertungen der Situation gibt. Es gibt Zahlen, die schlechtere Schulergebnisse bei Migrantenschülern im Vergleich zu Einheimischen belegen. Andererseits funktioniert Integration genau über diesen Weg. Wir wollen keine reinen Flüchtlingsklassen haben, es sollen mindestens 75 Prozent deutsche Kinder in den Klassen sein.

Bei den Elternabenden kam der Begriff "Sprachbad" auf. Ist es als pädagogisches Konzept nicht recht wenig, wenn die Kinder einfach mit in die Klassen gesetzt werden, was der Begriff ja irgendwie suggeriert?
Der Begriff hat gut gepasst. Er dient zur Orientierung dessen, was man von einem Migrantenkind erwarten kann. Die Aussage des Landesschulamtes ist: In Grundschulen soll es eine Integration in Klassenverbünden geben, in dem Alter gibt es eine sehr hohe Aufnahmebereitschaft. Dennoch sollen sie zusätzlich in Sprachgruppen von 12 bis 20 Kindern zusammengefasst werden und zusätzlich Deutschunterricht bekommen. Das Land hat 150 Stellen dafür ausgeschrieben. Der Landkreis Stendal hat auch seinen Bedarf angemeldet. Für Kinder im Sekundarschulalter soll es zunächst ausschließlich Sprachgruppen geben, ehe sie Klassen zugeordnet werden. Wir haben den großen Vorteil, dass wir in den Stendaler Schulen Komarow und Gagarin schon Erfahrungen machen konnten. Auf die sollte aufgebaut werden.

Wird es für den Landkreis Stendal genügend zusätzliche Lehrer geben?
Das hoffen wir. Es gab jedenfalls genügend Bewerbungen, ich kenne die regionale Verteilung bisher nicht. Die Stellen sind zunächst auf ein Jahr befristet. Es wurden auch Bewerbungen von Kandidaten nur mit dem ersten Staatsexamen akzeptiert. Das Landesschulamt wählt aus. Immerhin stehen für das Schuljahr 2015/16 im Landeshaushalt 6,5 Millionen Euro zur Verfügung. Die neuen Lehrer sollen zum 1. September ihren Dienst antreten.

Sie hatten vergangene Woche das Landesschulamt, einige Bürgermeister und Schuldirektoren im Landratsamt. Worum ging es?
Neben Fragen der praktischen Umsetzung bei der Beschulung von Asylbewerberkindern in den ländlichen Schulen ging es auch darum, dass diese Kinder dann auch in der Schulentwicklungsplanung und bei den Zahlen für das Sanierungsprogramm Stark III berücksichtigt werden. Das lehnt das Land ab, obwohl klar ist, dass es Mehrbelastungen gibt. Ums deutlich zu sagen: Wir brauchen die Kinder, um Grundschulen zu erhalten.

Die jetzt avisierte Verteilung ist sehr strategisch darauf ausgerichtet?
Ja, genau. Wir mussten in den vergangenen Jahren acht Schulen vom Netz nehmen. Wir wollen ein weiteres Ausdünnen verhindern. Der Demografiecheck hat ergeben, dass zum Beispiel 2030 in Arneburg, Lüderitz und Goldbeck zirka 15-20 Schüler am Bestand fehlen werden.

Wie hat Herr Klieme, der Direktor des Landesschulamtes auf ihre Argumente reagiert?
Sehr verhalten. Wir werden aber weiter mit dem Kultus- und Finanzministerium kommunizieren, um durchzudringen. Herr Klieme ist da nicht so richtig zuständig. Was uns sehr wenig einleuchtet ist, dass wir für den Bestand unserer kleinen Landschulen eine Ausnahmeregelung haben und der Bestand mit 60 Kindern gesichert ist. Stark III können diese Schulen aber nur in Anspruch nehmen, wen sie 15 Jahre nach der Sanierung noch 80 Kinder haben.

Sie sind bestimmt froh, dass jetzt Ferien sind, um einiges fürs neue Schuljahr zu organisieren?
Ja, wir werden die Zeit nutzen. Wir können froh sein, dass das Personal an den Schulen mitzieht. Wir müssen in den kommenden Wochen aber auch noch mit den Asylbewerber-Eltern sprechen und ihnen klarmachen, dass die Kinder teilweise in auswärtige Schulen kommen. Dazu gehört auch, dass wir den Kindern ermöglichen möchten, dass sie am Schulessen teilnehmen können. Im Übrigen sollen die Kinder ein Starterpaket mit einer schulischen Grundausstattung wie Lineal, Heften und Stiften bekommen. Dies soll über das Budget des Sozialamtes laufen und mit anderen Ansprüchen verrechnet werden.

Wir sprachen über die Elternabende. Wie wollen Sie Akzeptanz schaffen?
Wir brauchen eine breite Unterstützung. Zu den Elternabenden hatten wir ja auch Bürgermeister und Pfarrer sowie Vertreter der Hochschule mitgenommen. Es waren konstruktive Veranstaltungen. Für viele ist Multikulti neu. Auf der anderen Seite muss man sagen, die Region hat immer von Migration gelebt. Man braucht nur ins Telefonbuch gucken und sieht die schlesischen Namen. Im Übrigen haben wir den Schulleitern die Gemeinschaftsunterkunft gezeigt, um einen Eindruck zu vermitteln, wo die Kinder herkommen. Das Ehrenamt im Umfeld funktioniert gut, so gibt es z.B. Hausaufgabenhilfe.

Sind die Schulen denn vorbereitet?
Es wird die Praxis zeigen, wie es funktioniert. Wir werden versuchen, mit gesundem Menschenverstand zu lenken. Die Eltern werden sicherlich fokussiert darauf sein, wie die Lernresultate sich ändern.

Denis Gruber (SPD)
Denis Gruber (SPD)
Bernd-Volker Brahms