1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. "Hörbehinderungen werden oft ausgeblendet"

EIL

Antje Kämpfer will Selbsthilfegruppe für Eltern hörbehinderter Kinder gründen / Unterstützung von Stendaler Verein "Hörbehinderungen werden oft ausgeblendet"

Von Martin Rieß 03.12.2009, 05:52

Als Antje Kämpfer die Diagnose in den Händen hielt, dass ihr Sohn eine Hörbehinderung hat, war sie geschockt. Damit sie und Menschen, denen es ähnlich geht, von den Erfahrungen der anderen profitieren können, möchte sie jetzt eine Selbsthilfegruppe gründen. Bernd Zürcher, der sie von Seiten des Paritätischen unterstützen möchte, sieht darin auch eine politische Dimension : Als Gruppe könne man die Anliegen der Betroffenen viel besser vorbringen als allein.

Stendal. Der vor 80 Jahren gegründete Altmärkische Gehörlosenverein mit Sitz an der Frommhagenstraße in Stendal hat mit Selbsthilfegruppen seine Erfahrungen : Es gibt eine Jugendgruppe, eine Frauengruppe, eine Seniorengruppe, eine Gruppe Schwerhöriger und eine Gruppe von Menschen mit Cochleaimplantaten ( Innenohrimplantaten ). Eine weitere könnte in Kürzehinzukommen : eineSelbsthilfegruppe für Eltern mit hörbehinderten Kindern.

Initiatorin ist die Tangermünderin Antje Kämpfer. Ihr Sohn Janis ist zehn Jahre alt und hat eine Hörbehinderung. Festgestellt worden ist die erst, als der Junge fünf Jahre alt war.

" Ich wusste überhaupt nicht, was ich hätte tun sollen "

" Weder bei den Routineuntersuchungen noch beim Hals-Nasen-Ohrenarzt ist das festgestellt worden ", erzählt sie. Erst als sie bei einer Schulung in Magdeburg mit einer anderen Teilnehmerin ins Gespräch gekommen war, erfuhr sie von der Möglichkeit, Janis im Universitätsklinikum von Spezialisten untersuchen zu lassen. " Und da erst hatten wir die richtige Diagnose. "

Mit der Diagnose allein war Familie Kämpfer allerdings kaum weitergeholfen. " Am Anfang war das ein echter Schock. Ich wusste überhaupt nicht, was ich hätte tun sollen, wer in einer solchen Situation weiterhelfen konnte. " Eine Motivation, jetzt eine Selbsthilfegruppe zu gründen, war nicht zuletzt der Kontakt mit Eltern, denen es ähnlich geht. Antje Kämpfer hat sich daher bereits mit Menschen aus Tangerhütte und Havelberg, aus Klietz und Tangermünde unterhalten.

Unterstützung bei der Gruppengründung haben zugesagt : Reiko Lühe, Vorsitzender des Altmärkischen Gehörlosenvereins, fürs Fachliche, Bernd Zürcher vom Paritätischen Wohlfahrtsverband fürs Organsiatorische und Sozialarbeiterin Susann Appelt vom Verein der Beratungsstellen für Hörbehinderte für die Beratung. Zunächst geht es darum, sich zu treffen, einander kennenzulernen und gemeinsam zu überlegen, womit sich die Selbsthilfegruppe beschäftigen soll.

" Die Gruppe gewinnt damit eine politische Bedeutung "

Nicht allein der Erfahrungsaustausch ist indes ein Anliegen von Antje Kämpfer. " Wenn man allein ist, dann wird man mit seinen Problemen oft nicht ernst genommen. " Eine Beobachtung, die Bernd Zürcher bestätigen kann : " Ein großer Vorteil von Selbsthilfegruppen ist grundsätzlich, dass die Forderungen der Betroffenen gleich ein ganz anderes Gewicht bekommen. Die Gruppe gewinnt damit eine politische Bedeutung. "

Wie wichtig es ist, sich Gehör zu verschaffen, weiß Reiko Lühe : " Hörbehinderungen sind unsichtbar. Und damit blenden sie viele Menschen einfach aus. " Die Folge : Unter Barrierefreiheit wird zu oft allein das Einrichten von Fahrstühlen beispielsweise in Schulen verstanden. Nach den Erfahrungen von Antje Kämpfer eine folgenschwere Fehleinschätzung : " Dass Kinder mit einer Hörbehinderung einen speziellen Förderbedarf haben, das ist klar. "

Susann Appelt erklärt, was den Besuch einer regulären Schule für Hörbehinderte schwer macht : Sie müssen sich doppelt konzentrieren, um dem Unterrichtsstoff zu folgen. Sobald im Hintergrund Schüler mit den Seiten rascheln, der Lehrer zur Tafel gedreht spricht, hat ein Kind mit Hörgerät oder Innenohrimplantat kaum noch eine Chance, die Informationen des Unterrichts aufzunehmen. Die Folge : Die Leistungen verschlechtern sich, die Kinder laufen Gefahr, zu Außenseitern zu werden. " Janis ist in seiner Klasse gut integriert, aber ich habe schon die Befürchtung, dass das nicht immer so bleibt ", sagt Antje Kämpfer zu ihrer eigenen Familiensituation.

" Viele Lehrer sind auf solche Dinge gar nicht eingestellt, deshalb sehe ich auch den Unterricht von Hörbehinderten an regulären Schulen – wie es von der Landespolitik derzeit propagiert wird – nicht als Allheilmittel ", erklärt Zürcher. Vielmehr müsse es darum gehen, für die Heranwachsenden den besten Bildungsweg zu finden – sei es an der Schule vor Ort oder eben an der Spezialschule in Halberstadt. Eine Elterngruppe von hörbehinderten Kindern sei in diesem Zusammenhang doppelt wichtig : Einerseits gehe es darum, durch den Erfahrungsaustausch den Eltern die Entscheidung zu erleichtern. Andererseits sei es aber auch die Stimme einer Selbsthilfegruppe gegenüber Politik und Verwaltung, alle Bildungsmöglichkeiten für die betroffenen Kinder offenzuhalten und sie zu optimieren.

Kontakt

Den Kontakt stellt zunächst der Paritätische Wohlfahtsverband mit Sitz an der Osterburger Straße in Stendal her. Die Telefonnumern lauten ( 0 39 31 ) 68 94 20 und 68 94 21.