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An Stendals Idyll trifft man auf Menschen unterschiedlichster Art, jeder mit seiner eigenen Geschichte Kaffee, Hund und Spaten: Begegnungen am Stadtsee

Von Nora Knappe 16.04.2009, 07:07

Der Stadtsee ist Stendals Idyll. Hier treffen viele verschiedene Menschen aufeinander – sie wollen sich erholen, sie joggen, angeln, lesen, sonnen sich, picknicken, trinken Kaffee – oder arbeiten. Und sie alle spiegeln einen Teil unserer Gesellschaft wieder, sie alle haben ihre eigene Geschichte zu erzählen. Wir haben uns für ein paar Stunden unter sie gemischt.

Stendal. " Einmal Tiergarten, einmal Seeseite !" Zwei Kaffee wurden gebrüht, Monika Meineke-Kretzschmar ruft ihrer Mitarbeiterin zu, wo die Kunden bestellt haben. Eine junge Frau steht an der einen Luke, zwei Männer an der anderen. " In der Woche läuft es an der Seeseite besser, am Wochenende im Tierpark. " Seit vier Jahren ist Monika Meineke-Kretzschmar Pächterin der Tierparkgaststätte, hat ihre Stammkunden, weiß, wer das Bier gekühlt, wer den Kaffee mit Milch will. Und sie weiß auch : " In der ersten Monatshälfte läuft ‘ s besser. " Die Selbständigkeit liegt in der Familie, ihre Eltern hatten eine Gaststätte, der Onkel einen Imbiss. " Wir haben nüscht Gepanschtes ", sagt die 49-Jährige mit einem herzerfrischenden Lachen. " Gerade war wieder einer da, der sagte, dass sich der Eintritt für den Tiergarten allein schon deshalb lohnt, weil er weiß, was er hier bekommt. " Für den Blick auf den Stadtsee hat die Kioskbetreiberin keine Zeit : " Arbeit ist Arbeit ", sagt sie und macht die Luke zur Seeseite zu. Schließlich steht sie den ganzen Tag genug im Durchzug.

Doreen Bauer hat Zeit zu genießen, zwangsläufig – sie ist arbeitslos. " Für Familien ist das hier eine Oase ", sagt sie. Sie sitzt auf einer Bank, neben ihr ein ehemaliger Kollege. Die beiden haben sich grad zufällig nach langer Zeit mal wiedergetroffen. Zeit hat auch ihr ehemaliger Kollege. Seit November hat Rüdiger Schotte einen Ein-Euro-Job, davor war er zehn Jahre bei der Bahn, von Beruf ist er Zootechniker. Hoffnung, nochmal eine feste Arbeit zu finden ? " Für mich sehe ich keine Chance, das ist ein schwieriges Alter ", sagt der 50-Jährige. Er ist enttäuscht von der Politik. Von dem " sozial " im Namen der Parteien spürt er nicht viel. Die Verteilung müsste gerechter werden. " Es ist ganz gut, wenn man nach Feierabend hier am See ‘ ne Runde dreht, da kann man abschalten. "

In Sichtweite spielen Doreen Bauers beide Söhne. Die 35-Jährige ist in Borstel-Siedlung aufgewachsen, nach der Scheidung zog sie nach Stadtsee. " Der See ist das Schönste hier an der Gegend. " Die gelernte Restaurantfachfrau verlor vor vier Jahren ihre Arbeit. Wenigstens wenn sie mit ihren Kindern am Stadtsee ist und die beiden rumtoben, vergeht die Zeit ruckzuck. " Schaut mal ", ruft sie ihnen zu, " ein Hundebaby. "

Ein kleiner Labrador zerrt aufgeregt an der Leine, Frauchen hält ihn zurück. " Ja, sie will spielen, aber sie beißt auch. " Romina Englisch geht wie immer ihre tägliche Runde mit Molly, neun Wochen alt. " Labradore mögen Wasser, aber sie traut sich noch nicht. " Wer weiß, ob Molly ihre Taufe überhaupt im Stendaler Stadtsee haben wird. Ab 1. August wohnt Romina Englisch in Süddeutschland, Schweizer Grenze. " Ich habe dort eine Ausbildungsstelle bekommen, Restaurantfachfrau. Es wird Zeit mal rauszukommen, ich lebe ja jetzt bald 20 Jahre hier. " Hund und Freund kommen mit.

Die Kioskchefin : " Den See sehe ich nicht. Arbeit ist Arbeit "

Weggehen, das werden wohl auch Alexandra Isenthal und Lorenz Teege. Sie sitzen auf einer Bank nahe der Pergola, haben die Arme umeinander gelegt, schauen sich verliebt an. Sie ist 15, er 17, sie geht ins Hildebrand-Gymnasium, er zu Winckelmanns. Kennengelernt haben sie sich im Internet, seit September sind sie ein Paar. Klar, der See ist schön, aber sie wollen nicht in Stendal bleiben. " Hier ist nicht viel los, beruflich kaum Chancen ", sagt Alexandra. Lorenz will wegen des Sports weg, er hat Aufstiegschancen im Volleyball. " Letzte Woche war ich bei einer Bundesliga-Sichtung in Bayern. Die fanden mich gut. "

Sorgen um die eigene Existenz, Pläne für die Zukunft, Wünsche für das eigene Leben. Das hat Heinz Meseck alles hinter sich. Für den Rentner zählt nur das Hier und Jetzt. Mit kräftigen Stößen rammt er den Spaten in die Erde. Am südwestlichen Ende des Stadtsees befindet sich die Gartensparte " Am See ". Der Außenzaun soll erneuert werden, die Pächter müssen Baufreiheit schaffen. Für Heinz Meseck wohl der letzte größere Einsatz. " Seit 46 Jahren bin ich Pächter dieses Gartens ", sagt er und zeigt auf die Anlage vor ihm. " Ich werde 89, seit sechs Jahren pfl ege ich meine Frau. In diesem Jahr mache ich alles nochmal fertig, dann gebe ich den Garten ab. Ich schaff ‘ s nicht mehr, das halte ich körperlich nicht mehr aus. "

Bis jetzt kommt er fast jeden Tag her. Da könne er ja die Sonne aufgehen sehen ? " Ach was ", winkt Heinz Meseck lachend ab. " Ich bin schon vor Sonnenaufgang hier. " Dann setzt er sich vor seine Laube, schaut umher, lässt die Gedanken schweifen. Und denkt vielleicht an früher. Wie das war, in seinem Geburtsort, einem kleinen Dorf bei Tilsit in Ostpreußen – als er bei seinen Großeltern aufwuchs, beim Bürgermeister als Gehilfe arbeitete und dann Soldat bei der Wehrmacht wurde. " Die sagten, ich hätte eine laute Stimme und Disziplin, da bin ich Unteroffi zier geworden. " Oder er erinnert sich daran, wie er die Nachkriegszeit meisterte und als Lehrer in Schollene anfing, wo er auch seine Frau kennenlernte. Und wie er dann schließlich über Havelberg, Tangermünde und Rochau nach Stendal kam – seine letzte berufliche Station. Das war 1963.

Das Rentnerehepaar : " So schön ruhig, wir möchten hier nicht mehr weg "

Meseck macht einen zufriedenen Eindruck, sein Alter sieht man ihm nicht an. Wenn er einmal angefangen hat, redet er wie ein Wasserfall, alle wichtigen Zahlen hat er im Kopf : Im Juni kommt sein achter Urenkel zur Welt, 2010 ist er seit 50 Jahren Hobbyjäger und, das ruft er beim Abschied noch hinterher : " Seit 49 Jahren bin ich Abonnent der Volksstimme. Und gearbeitet habe ich bei euch auch mal. " Meseck ist fit, geistig rege, den Stadtsee findet er " hervorragend ". Er gerät ins Schwärmen, wenn er erzählt, wie Eltern mit ihren Kindern die Enten und Gänse und Schwäne füttern. " Und die schöne Insel hier, davon gibt es so viele herrliche Aufnahmen. "

Genau dieser Blick ist es, der auch dem Ehepaar Wolff so gefällt. " Bei den Gärten an der Brücke, das ist der schönste Platz, man guckt über den ganzen See, auf den Dom, und es ist so schön ruhig. " Jetzt aber sitzen Hannelore und Joachim, beide sind Rentner, mit ihrem Sohn Henry auf einer Bank unweit der " Seeperle ". Sie haben wohl schon auf allen Bänken rund um den Stadtsee gesessen, schließlich leben sie seit bald 20 Jahren in seiner Nähe. " Wir wohnen hier gleich nebenan ", sagt Hannelore Wolff und zeigt auf den quergestellten der Neubaublöcke, die an die Röxer Straße grenzen. Aus welchem Fenster sie auch immer sich lehnen – sie haben Zimmer mit Seeblick. " Vorher haben wir zwölf Jahre gegenüber gewohnt, in Stadtsee ", sagt ihr Mann. Wegen der Gesundheit können sie nicht mehr in Urlaub fahren, da ist der See gerade richtig. " Das ist so schön ruhig, wir möchten hier auch nicht mehr weg. "

Die Ruhe, der schöne Ausblick von verschiedenen Uferstellen, die schattigen Alleen – dafür haben Martina Träbert und Gerlinde Nielebock im Moment keinen Sinn. Die beiden kommen in gemächlicher Bestimmtheit den Weg entlang. Ihre blauen Uniformen verraten : Sie sind im Auftrag des Ordnungsamts unterwegs. Hier am Stadtsee ? Gibt es jetzt etwa schon Knöllchen für falsch landende Gänse ? " Spazieren gehen wir gerade nicht, wir machen hier unsere Arbeit ", sagt die eine von ihnen. Und die andere zeigt auf eine dicke Kladde und die Digitalkamera, die sie dabei haben. Zu kontrollieren gibt es viel : Haben alle, die einen Hund dabei haben, den auch registrieren lassen ; sammeln sie den Kot auf ; wo sind Bänke kaputt oder wo liegt Unrat herum ; sind irgendwo Äste absturzgefährdet oder parkt wieder ein Kleingärtner sein Auto unerlaubt auf der Wiese ... Ordnung muss sein, auch am Stadtsee. Jetzt, da es warm ist, können die beiden Politessen ihre Arbeit entspannt angehen : " Im Sommer sind die Leute zugänglicher, da reagiert kaum jemand mürrisch. " Die Kontrollroute um den See ist eine willkommene Abwechslung, die beiden Damen nennen sie " unsere Fitnessrunde ". Obwohl sie ohnehin jeden Tag an die 15 Kilometer zu Fuß zurücklegen.

Aber der Stadtsee hat eben seine ganz besondere Anziehungskraft. Und vielleicht kommen Martina Träbert und Gerlinde Nielebock ja nachher noch am Tierpark-Kiosk vorbei. Dann könnten sie noch schnell ein Eis bestellen – Seeseite natürlich.