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Früherkennungsuntersuchungen des drei Monate alten Jason waren lückenlos Junge Mütter bekommen Hilfsangebote, nehmen sie aber oftmals nicht an

Von Thomas Pusch 08.03.2012, 05:23

Der drei Monate alte Jason hätte wohl nicht sterben müssen, wenn seine Mutter eines der Hilfsangebote angenommen hätte. Doch diese Entscheidung ist freiwillig.

Stendal l Der Treppenaufgang zu dem Haus, in dem der drei Monate alte Jason im Oktober vergangenen Jahres starb, ist zu einer kleinen Gedenkstätte geworden. Stofftiere, Blumen und Briefe erinnern an den Säugling, der von seiner Mutter drei Tage lang nichts zu essen oder zu trinken bekam. "Warum?" steht in großen Lettern geschrieben, und es wird dauern, bis diese Frage, wenn überhaupt, beantwortet wird.

Nach Antworten suchte gestern auch die Sendung "Sozial Diskurs Sachsen-Anhalt", die beim Offenen Kanal aufgezeichnet wurde. Thema des Magazins, das ein Projekt des Stendaler Fernsehens in Zusammenarbeit mit dem Offenen Kanal Wettin ist, war "Kinderarmut". Dabei bezog sich der Begriff der Armut nicht ausschließlich auf die finanzielle Situation.

"Besonders armutsgefährdet sind alleinerziehende jüngere Eltern", sagt Professor Raimund Geene, Dozent für Kindheitswissenschaften an der Stendaler Fachhochschule. Die junge Mutti falle aus ihrer Clique heraus, sehe ihre Freundinnen nicht mehr bei der Arbeit, in der Schule oder bei der Ausblidung. "Oftmals folgt dann noch ein Kind, das diese soziale Bindung ersetzen soll, und dann noch eins, aber ein Kind kann diese Aufgabe nicht leisten", führt Geene aus. Der Beruf, die Schule bedeuten eben auch soziale Kontakte. "Es gibt auch viele Hilfsangebote, aber die Familienberatung kommt bei denen, die es am nötigsten haben, oftmals nicht an", fasst Geene zusammen.

Dieses Problem ist auch dem Chefarzt der Stendaler Kinder- und Jugendklinik, Dr. Hans-Peter Sperling, bekannt. Dennoch ist er von dem Angebotsspektrum in Stendal überzeugt, nennt das Jugendamt einen wichtigen Ansprechpartner. "Wir arbeiten eng mit dem Amt zusammen und das nicht erst seit dem Tod des Jungen", sagt er. Jugendamt bedeute eben nicht nur Kinder aus Familien herauszuholen, sondern auch Beratung und Hilfe. Und die bietet es alleinerziehenden Müttern auch unaufgefordert an.

Oftmals haben diese aber auch Angst vor Behörden. Die Ärzte sind da weniger ein Problem, das hatte auch Geene festgestellt. "Lückenhafte Früherkennungsuntersuchungen waren vor einiger Zeit ein großes Problem, mittlerweile kann man sagen, dass 99 Prozent der Frauen dorthin gehen", schätzt er in "Sozial Diskurs Sahsen-Anhalt". Ängstliche Muttis gebe es aber auch im Arztzimmer. Typisch für sie sei eher, dass sie gar keine differenzierten Diagnosen hören, nur schnell den Stempel bekommen und wieder gehen möchten. "Die Fürsorge und Anbindung an den niedergelassenen Kinderarzt ist ein sehr wichtiger Faktor", betont Sperling. Und wichtig findet er auch die Früherkennungsuntersuchungen. "Klar, wir leben in einer liberalen Gesellschaft, und jeder kann entscheiden, ob er mit seinem Kind zur Untersuchung geht oder auch ob er es impfen lässt", räumt er ein, plädiert aber für die empfohlenen Untersuchungen: "In Berlin werden die Eltern daran erinnert, wenn sie eine versäumen, das finde ich gut."

Eine ganz wichtige Person rund ums Kindeswohl findet der Chefarzt die Familienhebamme Gesine Thom. Die Hebamme absolvierte dafür eine einjährige Zusatzausbildung. 40 Stunden pro Monat bekommt sie für die Betreuung sozial Schwacher bezahlt. "Aber sie leistet viel mehr und macht dabei einen top Job", lobte Sperling. Gerade für die minderjährigen Mütter sei sie wie eine gute Freundin, begleite sie zum Arzt oder bei Behördengängen, unterstütze sie und nehme ihnen die Angst.

"Es gibt einige Möglichkeiten der Hilfe in Stendal", fasst er zusammen, "aber sie müssen eben auch angenommen werden." Gezwungen werden kann niemand dazu.