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"Neue Fassaden – alte Geschichten" (Teil 43): Grüne Straße 30 Wo einst der Hahn auf dem Stadtbauern-Hof gekräht hat

Von Andreas Fischer 26.01.2011, 04:35

In der Serie "Neue Fassaden – alte Geschichten" stellt die Harzer Volksstimme historisch interessante Häuser in Wernigerode vor. Mit diesem Thema haben sich auch Heimatforscher wie Dr. Uwe Lagatz und Mitarbeiter der Oskar Kämmer Schule, unterstützt von der KoBa, befasst. Ihre Erforschung fließt in die Beschreibungen mit ein. Der Rundgang führt heute zur Grünen Straße 30.

Wernigerode. Der Charakter von Teilen der Wernigeröder Neustadt als Ackerbürgerstadt wird besonders in der Grünen Straße deutlich. Auf die Höfe mehrerer Häuser gelangt man dort durch große Tordurchfahrten, die häufig die Schwelle des Obergeschosses durchbrechen und nur noch ein niedriges Senkgeschoss zulassen. Das gilt auch für das Haus mit der Nummer 30.

Dieses Bauernhaus war "um 1680" erbaut worden. Es gibt aber auch Veröffentlichungen, in denen als Baujahr 1682 angegeben wird. Ziemlich sicher ist, dass es dort ein Vorgängerhaus gegeben hat, denn es sind seit 1612 in der städtischen Chronik Hausbewohner nachweisbar: für jenes Jahr Jürgen Schacht, ab 1619 sein Sohn gleichen Namens, ab 1636 Paul Schacht. Vermutlich baute 1866 Henning Eheleben das jetzige Haus, dem 1700 Heinrich Eheleben und 1740 Wilhelm Eheleben als Eigentümer folgen. 1760 übernimmt Christian Baenecke das Grundstück, der es 1791 an Heinrich Baenecke und dieser dann 1796 an Christian Daniel Baenecke übergibt.

Es schließen sich 1814 zwei Generationen der Familie Niehoff und dann mehrere Generationen von Fuhrleuten an: 1857 Heinrich Bindseil, 1869 Gottlieb Eisemann und 1901 Hermann Eisemann.

Über diese Zeit und über die Familie Eisemann weiß Lisa Städer von Erzählungen zu berichten. Die heute 82-jährige Wernigeröderin und ihr im Jahr 2006 verstorbener Mann hatten das Haus von der Familie Richter gekauft, die wiederum das Grundstück "vom Bauern Eisemann" erworben hatte. Auch Städers betrieben dort Landwirtschaft mit Kühen, Pferden, Schweinen und Hühnern, dazu etwas Acker. "Mit der Wende 1990 gaben wir die Tierhaltung bis auf einige Hühner auf", erinnert sich Lisa Städer.

Mit Stolz berichtet sie, dass "das Haus kontinuierlich saniert wurde". Gleichzeitig bedauert sie: "Das Fachwerk im Erdgeschoss konnte zu DDR-Zeiten nicht erhalten werden." Es habe am notwendigen Bauholz gemangelt, deshalb wurden nur Steine verbaut.

Fachwerk muss wegen Holzmangel weichen

Ihr Enkel Mathias König, gelernter Maurer, habe sich im Haus eine eigene Wohnung eingerichtet und selbst viel um- und ausgebaut. Der Eingang ins Haus erfolgt weiter von der Grünen Straße aus, während Fahrzeuge von der Mauergasse aus auf das Grundstück gelangen. "So wie einst die landwirtschaftlichen Maschinen", erzählt Lisa Städer, die sich freut, dass ihr 33-jähriger Mitbewohner so viel Freude am Erhalt des traditionsreichen Hauses hat.

Die Ackerbürger, die einst die Grüne Straße besiedelten, stellten seit dem Mittelalter innerhalb der städtischen Sozialstruktur eine Sondergruppe dar. Diese ließen sich keinem der typischen Erwerbsstände zuordnen. Sie waren Bauern mit Bürgereigenschaften, sogenannte Stadtbauern. Sie bewirtschafteten ihre Ländereien innerhalb der städtischen Feldmark "mit eigener Anspannung", wie es in der Literatur heißt, zumeist nur im Nebenerwerb oder zur Selbstversorgung.

Die Grüne Straße in Wernigerodes Neustadt wird 1397 "Gronenstraten" genannt. Publikationen von 1440 berichten auch von einer "oversten Gronenstrate". Seit 1610 existiert die Bezeichnung Grüne Straße. Ihr ehemals oberer Teil wird seit 1581 als Schäferstraße bezeichnet, benannt nach den einst dort wohnenden Schäfern.