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Hartz-IV-Bezieher finden kaum Wohnungen in Wernigerode / Reform für 2014 angekündigt Wenn selbst die Platte der KoBa zu teuer ist

Wer Hartz IV bezieht, muss sich an Mietobergrenzen halten, die von den Jobcentern festgelegt werden. In Wernigerode sollen diese Richtwerte weit unter den marktüblichen Mieten liegen.

Von Jörn Wegner 12.03.2014, 02:18

Wernigerode l Eine preisgünstige Wohnung in Wernigerode zu finden, ist nicht einfach. Menschen, die Arbeitslosengeld2 - das sogenannte HartzIV - beziehen, haben es besonders schwer. Für sie legt die Kommunale Beschäftigungsagentur (KoBa) Mietobergrenzen fest. Betroffene kritisieren, dass die Grenzen weit unter den tatsächlichen Mieten liegen.

422 Euro zahlte Sabine Ludwig* im Jahr 2011 für eine Wohnung im Stadtfeld - davon dreiEuro aus eigener Tasche. Nachdem die KoBa ihre Mietgrenzen nach unten korrigiert hatte, waren es 40Euro. Eine Sanierungsankündigung stellte eine noch höhere Miete in Aussicht - die 29-jährige Alleinerziehende musste umziehen. Ihre jetzige Wohnung kostet 446 Euro, davon schießt sie 65 Euro von ihren 391 Euro Arbeitslosengeld zu. Stefanie Lange* geht es ähnlich: "Meine Wohnung kostet 440Euro kalt, ich lebe dort allein mit zwei Kindern", sagt sie. Eine günstigere Bleibe fand sie nicht. "Wohnungen, die die Obergrenzen der KoBa erfüllen, gibt es vielleicht in Halberstadt und Osterwieck - nicht in Wernigerode." Beide Frauen erhalten von der KoBa einen Mietzuschuss für einen Dreipersonenhaushalt von höchstens 381 Euro.

Liegt die Wohnungsmiete von Erwerbslosen mindestens 50 Euro über den Grenzwerten, verschickt die KoBa eine Aufforderung, die Kosten zu senken. In dem Schreiben wird den Betroffenen unter anderem geraten, eine neue Wohnung zu suchen, unterzuvermieten oder mit dem Vermieter zu verhandeln. 2013 erhielten knapp zehn Prozent der Wernigeröder Haushalte, die von Hartz IV leben, ein solches Schreiben, teilt Mandy Bantle von der KoBa mit.

"Für die Höchstgrenzen der KoBa gibt es in Wernigerode fast keine Wohnungen mehr", sagt Christian Linde von der Wernigeröder Wohnungsgenossenschaft (WWG). Deren Bestände liegen vorwiegend in den drei Plattenbaugebieten - den günstigsten Wohngegenden in der Stadt.

"Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, Wohnungen zu sanieren", so Linde. Nach der Sanierung liege die Kaltmiete bei wenigstens 4,30Euro pro Quadratmeter, meist darüber. "Wir erhöhen nicht die Mieten, weil wir auf Profit orientiert wären. Wir müssen kostendeckend arbeiten." Für Erwerbslose sei die Suche nach einer neuen Wohnung besonders problematisch. "Viele müssen wir wegschicken", so der WWG-Vorstand.

Bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWW stellt sich die Lage ähnlich dar. In der Januar-Sitzung des Sozialausschusses empfahl GWW-Chefin Kirsten Fichtner Mietern, denen die KoBa nach einer Sanierung die erhöhte Miete nicht bezahlt, zu klagen.

"Die meisten sind eingeschüchtert, sie haben Angst vor Repressionen."

Rechtsanwältin Renate Schmidt-Nüsser

"Die Erfolgsaussichten für eine Klage sind hoch", ist Anke Herlt vom Mieterverein überzeugt. Viele Menschen, die keine Wohnung in Wernigerode finden, suchen die Beratungsstelle des Vereins in der Breiten Straße auf. "Diese Leute fühlen sich ausgegrenzt", sagt sie. "In Wernigerode fehlt ein qualifizierter Mietspiegel. Es lässt sich nicht ermitteln, wie hoch die Durchschnittsmieten wirklich sind." Das Fehlen eines Mietspiegels, der von Mieter- und Vermieterverbänden sowie der Politik anerkannt wird, kritisiert auch Renate Schmidt-Nüsser. Die Rechtsanwältin vertritt Hartz-IV-Bezieher, die sich mit der KoBa wegen der Miete streiten. "Was die KoBa aufgestellt hat, ist nicht nachvollziehbar", sagt sie über die Richtlinien.

Sie empfiehlt Betroffenen, juristisch vorzugehen. "Meist gibt die KoBa klein bei, oder wir gewinnen", sagt sie. Allerdings würden viele Betroffene vor einer Klage zurückschrecken. "Die meisten sind eingeschüchtert. Sie haben Angst vor Repressionen, wenn sie klagen. Von 100 Bürgern, denen die Miete nicht bezahlt wird, gehen drei vor Gericht. Das ist knallharte Kalkulation."

Der Leiter der KoBa, Dirk Michelmann, weist diese Vorwürfe von sich. Die Obergrenzen seien seriös ermittelt worden. Ein Hamburger Unternehmen habe Zeitungsanzeigen und Online-Portale ausgewertet sowie bei Wohnungsunternehmen nachgefragt. "Der Gesetzgeber sagt, dass wir Wohnungen finanzieren müssen, die sich im unteren Drittel der Preisspanne bewegen", so Michelmann.

" Wir wollen untersuchen, ob unsere Werte noch realistisch sind."

KoBa-Chef Dirk Michelmann

Den Vorwurf, dass es nach der Sanierung der Plattenbauten keine Wohnungen mehr zu den KoBa-Bedingungen gibt, kann Michelmann jedoch nachvollziehen. "Wir wollen untersuchen, ob unsere Werte noch realistisch sind", sagt er. Die Überarbeitung der Mieten-Tabelle stellt Michelmann noch für 2014 in Aussicht. Dabei wird es entweder eine komplette Neuerhebung geben, oder die Obergrenzen werden mit einem bestimmten Faktor korrigiert.

Einer Erhebung des Online-Portals "Immobilienscout24" zufolge verzeichnete Wernigerode 2013 eine Mietsteigerung von fünf Prozent. Die durchschnittliche Kaltmiete der dort inserierten Wohnungen betrug im vierten Quartal 2012 5,90 Euro pro Quadratmeter, ein Jahr später waren es 6,20 Euro.

Die Mieten-Problematik ist Thema in der heutigen Sitzung des Sozialausschusses.

*Namen von der Redaktion geändert.