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Günter Roßmann verziert mit knapp 100 Jahren Ostereier nach sorbischer Tradition Taktarbeiter mit Wachs und Taubenfeder

Von Dennis Lotzmann 19.04.2014, 03:18

Sorbische Ostereier mit hübschen Wachsverzierungen stehen nicht nur in der Lausitz hoch im Kurs, sondern sind auch im Harz beim Dekorieren beliebt. Günter Roßmann aus Ballenstedt hat sich der filigranen Gestaltungstechnik verschrieben und wird dafür bewundert. Insbesondere, weil er im Herbst 100 Jahre alt wird.

Ballenstedt l Bastler? Tüftler? Oder besser: Künstler? Soll das Wirken von Günter Roßmann möglichst treffend beschrieben werden, liegen viele Möglichkeiten nahe. Eines aber ist sicher: Der pensionierte Tierarzt aus Ballenstedt ist vielseitig aktiv, künstlerisch talentiert und pflegt - mit knapp 100 Lebensjahren - ein Hobby, bei dem ihm wohl niemand ernsthaft Konkurrenz macht. Roßmann gestaltet und verziert ausgeblasene Eier nach sorbischem Vorbild mit filigranen Wachsmustern und Inschriften.

Ein seltenes Hobby, das sich in seiner Heimatstadt längst herumgesprochen hat, wie Roßmann durchblicken lässt, während er mit der Taubenfeder ansetzt, um das noch schlohweiße Ei mit flüssigem Wachs zu verzieren. Gut und gern einige hundert Eier habe er seit 1979, als er seinen Job als Tierarzt aufgab, wohl gestaltet, überschlägt er. Das Gros davon sei zwar in Form von Geschenken ("Blumen welken so schnell dahin") in der weitläufigen Familie geblieben. Immer wieder habe er seither jedoch auch versucht, das A und O dieser traditionellen Kunst in Kursen weiterzugeben. "Allerdings hat es nur bei den allerwenigsten geklappt", lacht Roßmann und verrät - ganz indiskret - die Gründe: "Nicht nur das gewisse Fünkchen Talent ist nötig, sondern vor allem ganz, ganz viel Ausdauer."

Über Zeit - und eben die nötige Portion Ausdauer - verfügt der promovierte Tiermediziner auch erst seit dem Eintritt ins Rentenalter. Zuvor war er seit Anfang der 1950er Jahre rund um Ballenstedt als Tierarzt tätig und bestens beschäftigt. Als Roßmann begann, im Ostharz Wurzeln zu schlagen, hatte er schon einiges gesehen von der Welt. "Mein Vater war bei der Reichsbahn und wurde immer wieder versetzt", erinnert er sich. So kam der gebürtige Wende aus der Niederlausitz und via Görlitz zunächst nach Halle, wo er das Abitur ablegte. Sein in Leipzig begonnenes Tiermedizin-Studium konnte er selbst nach Kriegsausbruch fortsetzen. "Ich wurde sofort eingezogen, weil der doofe Hitler dringend Tierärzte brauchte." Roßmann kam zuerst zur Heeres-Veterinär-Akademie nach Hannover, dann ins Pferde-Lazarett in Brüssel, später an die Ostfront und zuletzt bis 1947 in Gefangenschaft. Nach der Rückkehr zu den Eltern in Halle verschlug es den Veterinär in den Ostharz.

"Als ich 1979 in Rente gegangen bin, habe ich überlegt, was ich nun wohl machen könnte", erzählt der noch rüstige Rentner. Lange suchen musste Roßmann nicht - sein Blick fiel auf ein sorbisch-wendisches Osterei, das ihm Jahrzehnte zuvor Tante Hanna geschenkt hatte. "In der Niederlausitz ist es Tradition, dass Kinder von ihren Tanten solche Geschenke bekommen", erinnert sich Roßmann. Was lag - gut und gern 55 Jahre später - näher, als sich nun einfach mal selbst auszuprobieren?

Günter Roßmann wagte es, kam auf den Geschmack und blieb dabei. "Mit der Zeit habe ich meine eigene Technik entwickelt und jetzt geht das zack-zack", plaudert er sichtlich amüsiert.

Apropos Technik: Das, was der rüstige Künstler kreiert und aufgebaut hat, erinnert irgendwie an eine Mischung aus OP-Trakt und Heimwerkstatt. In einem leeren Konservenglas hängt ein umgebogener Löffel, der zum Wachstiegel umfunktioniert ist. Darunter ein Teelicht. Natürlich kein normales. Günter Roßmann wäre nicht Günter Roßmann, hätte er nicht auch die Wärmequelle perfektioniert. "Ich hab` einen dickeren Docht eingearbeitet, der hält jetzt ewig", verrät er lachend. Daneben Federn aus Stahl und von Tauben sowie Metallbestecke und allerlei Eigenkreationen, um die Wachsmuster zu gestalten. Hinzu kommen Roßmanns Talent und Erfahrung. "Man muss schnell arbeiten, zack-zack und wie ein Taktarbeiter, bevor das Wachs wieder erstarrt."

Mit seinen gestalteten Eiern hat Roßmann übrigens nicht nur die eigene Verwandtschaft beschenkt. "Als ich Rentner wurde und in den Westen reisen durfte, war ich mehrmals auf der Hannover-Messe." Noch heute gibt Roßmann, der gern im heimischen Garten aktiv ist und die ganze Familie mit seinem Quitten-Gelee beglückt, Kostproben seines Könnens. Aktuell zeigt er im Stadtmuseum Ballenstedt eine Kollektion kunstvoll gestalteter Ostereier. Bei einer Vorführung können Besucher dem knapp 100-Jährigen am Mittwoch, 23. April, um 17 Uhr im Museum über die Schulter schauen und sich auch mal selbst im Gestalten versuchen.

Die Ostereier-Ausstellung ist bis Ende April zu sehen. Weitere Infos unter Tel. (03 94 83) 263 bei der Stadtinformation oder unter (03 94 83) 88 66 im Museum.