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Ausstellung im Wernigerode Eine Zeit ohne Gerechtigkeit

Eine Ausstellung mit realen Fällen aus der Justizgeschichte Wernigerodes
ist am Montag im Amtsgericht eröffnet worden. Justizministerin Angela
Kolb und Amtsgerichtsdirektor Ulrich Baumann ermunterten die Gäste, sich
mit der NS-Vergangenheit intensiver zu beschäftigen.

Von Andreas Fischer 26.11.2014, 01:10

Wernigerode l Die Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus" im Amtsgericht Wernigerode spürt Gerichtsfällen aus dem Harz nach. Drei der mehr als 100 Schautafeln befassen sich mit den Opfern und Tätern der NS-Justiz in Wernigerode. Die Ausstellung ist am Montag von prominenten Gästen eröffnet worden.

Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb (SPD) ermutigte in ihrer Eröffnungsrede die Menschen der Region, sich anhand dieser Ausstellung mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Ausstellung gebe den Opfern ein Gesicht und zeige, wie die Richter in den Verfahren in Wernigerode agiert hätten.

Dokumentiert wird unter anderem das Urteil gegen den jüdischen Kaufhaus-Inhaber Max Kirschstein. Nach der Denunziation durch ein Wernigeröder Ehepaar, das den Kaufmann tagelang bespitzelt hatte, war er 1937 angesichts eines Verhältnisses mit einer "arischen" Frau wegen "Rassenschande" zunächst zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Später wurde Kirschstein umgebracht. In der Ausstellung wird auch die von den NS-Behörden betriebene Verfolgung von Max Otto, dem späteren ersten Nachkriegsbürgermeister Wernigerodes, aufgezeigt. Die Ausstellung verdeutlicht laut Justizministerin Kolb, dass es keine Gleichheit der Menschen vor Gericht gegeben habe und Richter nicht unabhängig gewesen seien. Sie zeige auch, dass manche Richter im vorauseilenden Gehorsam handelten.

Im Beisein von Harzkreis-Landrat Michael Skiebe (CDU), dem Wernigeröder Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos), Juristen, Lehrern und Ausstellungsgestaltern informierte die Ministerin, dass diese Schau an weiteren Orten gezeigt werde. So gebe es Anfragen aus Thüringen.

Amtsgerichtsdirektor Ulrich Baumann warb dafür, "sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um die Zukunft gestalten zu können." Die Ausstellung sei ein Beitrag der Justiz, sich mit ihrer eigenen Vergangenheit zu beschäftigen, nachdem es Jahrzehnte eine "Mauer des Schweigens" gegeben habe.

Ausstellungsgestalter Michael Viebig von der Halleschen Gedenkstätte "Roter Ochse" sowie Amtsgerichtsdirektor Ulrich Baumann informierten, dass die Ausbildung von Schüler-Guides, die Jugendliche durch die Ausstellung führen sollen, unmittelbar bevorsteht.

Viebig und Baumann kündigten weitere Veranstaltungen an. So wird am Dienstag, 9. Dezember, um 19.30 Uhr im Amtsgericht die Lesung "Unkraut vergeht nicht" von Hannes Liebmann aus Stendal über das Verfahren eines Sondergerichts gegen eine 72-jährige Witwe stattfinden.

Einen Vortrag über Verfahren wegen des verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen vor mitteldeutschen Gerichten hält Michael Viebig am Dienstag, 13. Januar, ab 19.30Uhr ebenfalls im Amtsgericht Wernigerode. Zu einem derzeit noch nicht feststehenden Termin soll ein Film über einen jungen polnischen Zwangsarbeiter gezeigt werden, den ein deutsches Sondergericht 1942 zum Tode verurteilt hatte.

Etwa 30000Menschen haben die Wanderausstellung bisher besucht. Sie ist noch bis zum 23. Januar im Amtsgericht zu sehen. Zuletzt gastierte die Schau am Kammergericht Berlin und bei der Europäischen Union in Brüssel.