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Stadtplaner Michael Zagrodnik im Interview "Wir jammern auf hohem Niveau"

24.04.2015, 01:17

Die Demografie-Woche in Wernigerode ist vorüber. Das Thema ist weiter aktuell. Wie sich die Bevölkerung der bunten Stadt am Harz entwickeln wird, erklärt Stadtplaner Michael Zagrodnik. Mit ihm sprach Volksstimme-Volontär Holger Manigk.

Volksstimme: Wernigerodes Einwohnerzahl sinkt. Wie ist dieser Schwund einzuordnen?

Michael Zagrodnik: Wernigerode bleibt ein attraktiver Wohnort. In den vergangenen 25 Jahren schrumpfte unsere Bevölkerung zwar um rund 15 Prozent. Aber damit geht es uns im Vergleich zu anderen Kleinstädten gut. Durchschnittlich sank die Bevölkerungszahl in Sachsen-Anhalt um rund 20 Prozent.

Wie sieht die Entwicklung in den Ortsteilen aus?

Nur in Schierke ging die Einwohnerzahl dramatisch zurück - von knapp 1000 auf nicht einmal mehr 600. Hier brach der organisierte Tourismus der DDR weg, und die Armee zog ab. In anderen Ortsteilen wie Reddeber oder Benzingerode stieg die Bevölkerungzahl zunächst, als dort Mitte der 1990er Jahre neue Wohngebiete entstanden. Viele Familien zogen hierher. Doch deren Kinder verlassen ihr Elternhaus, um zu studieren oder eine Ausbildung zu beginnen. Sie zieht es in die Großstädte. So schrumpfen die Dörfer wieder.

Setzt sich dieser Trend fort?

Das Statistische Landesamt geht derzeit davon aus, dass Wernigerode mit den Ortsteilen in zehn Jahren nur noch knapp 28 000 Einwohner haben wird. Unsere aktuellen Zahlen zeichnen ein positiveres Bild: Wahrscheinlich werden wir uns im Jahr 2025 zwischen 30 000 und 31 000 Einwohnern einpendeln, wenn wir keine einschneidenden Einbrüche erleben.

Wie in anderen Städten sinkt die Anzahl junger Leute in Wernigerode, während die der älteren steigt. Welche Folgen hat das für die Stadt?

Für weniger Kinder benötigen wir weniger Schulen und Horte. Durch die jungen Berufstätigen, die uns fehlen, wird ein Mangel an Fachkräften und Pflegepersonal entstehen. Vereine werden sich älteren Mitgliedern anpassen müssen. Zugleich brauchen wir mehr soziale Einrichtungen und Pflegedienste, um dem Plus an Senioren gerecht zu werden. Auch barrierefreie Wohnungen werden gefragter.

In den vergangenen Jahren kamen hier wieder mehr Kinder zur Welt. Gleichzeitig ziehen immer mehr Leute nach Wernigerode. Lassen sich dadurch nicht Verluste auffangen?

Nein, wir haben zwar einen guten Trend bei den Geburten. Im vergangenen Jahr kamen hier 244 Kinder zur Welt. Die Zahl der Todesfälle ist fast doppelt so hoch. Das heißt, wir verlieren jedes Jahr Einwohner. Unter den jungen Zuzüglern sind viele Studenten der Hochschule Harz. Nach dem Studium verlassen uns die meisten Frauen zwischen 25 und 35 Jahren wieder. Das ist schade, da sie ihre Kinder anderswo bekommen.

Seit 2008 werden mehr Zuwanderer als Abwanderer registriert. Ist eine bestimmte Altersklasse dafür verantwortlich?

Vor allem Ober- und Nordharzer über 65 Jahren zieht es nach Wernigerode. Sie geben ihr Haus im Dorf auf, weil sie hier besser versorgt werden. Gerade im Wohnpark Ilsenburger Straße oder den neuen Seniorenwohnungen in der Schreiberstraße finden sie einen Platz.

Stichwort Wohnen: In Wernigerode sind die Mietkosten höher als in anderen ländlichen Regionen. Liegt das daran, dass Wohnraum knapp ist?

Derzeit liegt der Leerstand in unserer Stadt bei sechs Prozent. Zum Vergleich: In Halle oder Magdeburg ist er doppelt so hoch. Single-Haushalte nehmen zu, der einzelne Mieter benötigt immer mehr Platz. Daher steigen die Preise für Wohnraum. Vor 15 Jahren hatten wir befürchtet, dass 2015 viele Häuser leer stehen würden. Doch wir mussten kein Gebäude komplett abreißen. Einige Wohnblöcke - wie das Wellenhaus - wurden lediglich zurückgebaut. In den nächsten Jahren drohen größere Leerstände, vermutlich in den Plattenbaugebieten. Erst dann müssen wir uns mit der Wohnungsgenossenschaft sowie der Gebäude- und Wohnungsbaugesellschaft über Abrisse unterhalten.

In welchem Stadtteil stehen heute die meisten Häuser leer?

In der Altstadt kämpfen wir mit dem Problem, dass der Wohnraum für die gebotene Qualität zu teuer ist. Häuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind schwer mit den Ansprüchen vieler Leute in Einklang zu bringen. Der mittelalterliche Stadtgrundriss steht oft im Widerspruch zum heutigen Mobilitätsverhalten, es mangelt an Parkplätzen.

Was unternimmt die Stadtverwaltung, um diese Probleme zu lösen?

Zum einen jammern wir hier auf hohem Niveau. Um die Lage gezielt zu beurteilen, werden wir in diesem Jahr den Bestand und Leerstand in der Altstadt erfassen. Andererseits bin ich überzeugt, dass wir hier in zehn Jahren tolle Wohnungen anbieten können. In fast allen unserer Planungen bildet die Altstadt einen Schwerpunkt, so auch im Verkehrskonzept Innenstadt. Dieses erarbeiten wir derzeit, erhoffen uns von ihm entsprechende Lösungen. Damit sollte sich die Situation für Anwohner und Touristen, aber auch für die Geschäftstreibenden verbessern.