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Stunde der Klassik mit dem Philharmonischen Kammerorchester Wernigerode und Solisten Stürmischer Beifall für ein außerordentlich intensives Musik-Erleben

Von Hans Walter 23.02.2011, 04:36

Wernigerode. Das Generalthema lautete "Vergänglichkeit". Die vierte Stunde der Klassik – musiziert von den Streichern des Philharmonischen Kammerorchesters Wernigerode, dem Harfenisten Andreas Wehrenfennig, Barbara Toppel (Flöte/Glocke) und Franziska Gruschka (Cembalo/Orgel) in der Aula des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums, bot am Freitag acht elegische Miniaturen plus einer Zugabe.

Ein eindringliches Konzert, das Nachdenken und Innehalten von des Tages Unrast beförderte. Es waren zumeist unbekanntere Werke, die Musikdirektor Christian Fitzner zum Strauß gebunden hatte. Barocke Strenge fasste den Abend.

Einleitend erklang von William Boyce die dreisätzige Sinfonie Nr. 8 d-Moll für Flöte und Streicher – in jener Tonart, die am meisten dem Jenseits, dem Überirdischen verpflichtet ist. Er beginnt mit einem Streicherunisono; auf diesem Klangteppich entfalten Flöte und Cembalo ihr polyphones Klanggeflecht, das in ein Fugenthema mündet und in trauernder Erhabenheit endet. Eine würdevolle Musik des Engländers (1711-1779), der in der Händel-Nachfolge noch einmal Kraft und Hochblüte nationaler Kompositionskunst unter Beweis stellte. Mit Henry Purcells (1659-1695) Suite für Streichorchester aus der Oper "Dido und Aeneas" beschloss Fitzner den Abend, der dramaturgisch ein schönes Erkunden der der Musik innewohnenden Vergänglichkeit bot.

Es wurde ein Konzert der Harfenklänge; in vier Stücken trat Andreas Wehrenfennig, Solo-Harfenist der Staatskapelle Halle und seit 2010 Leiter der Harfenklasse an der Hochschule für Musik und Theater Rostock, vor das Publikum. Es waren unterschiedliche Kompositionen und Spielweisen, in denen er seine Meisterschaft erwies – gefeiert mit stürmischem Beifall. Etwa in Edward Elgars (1857-1934) "Sospiri" für Harfe, Orgel und Streichorchester opus 70, entstanden im August 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Es ist eine düstere Vorahnung, sind wehmütige Seufzer – so die Übersetzung – über den Zustand der Welt. Claude Debussy entstammt etwa der gleichen Zeit (1862-1918). Von ihm erklangen die "Danses sacrée et profane", die zwei geistlichen und profanen Tänze für Harfe und Streichorchester. Sie entstanden 1904 für die damals neu entwickelte chromatische Harfe – ein impressionistisch-elegischer wie tänzerischer Ausflug des Solo-Instruments auf wirkungsvollen Streicherklängen.

Dann drei Werke, die in ihrer Ausformung durch Christian Fitzner und das Orchester nachhaltigste Wirkung bei den Zuhörern erzielten: Der zweite Satz aus dem Streichquartett Nr. 14 in d-Moll "Der Tod und das Mädchen" von Franz Schubert (1797-1828). Das "Air And Dance" für Streichorchester des Deutsch-Engländers und in Frankreich lebenden Frederick Delius (1862-1934). Und schließlich "Cantus In Memory Of Benjamin Britten" in a-Moll für Streichorchester und eine Glocke des estnischen Komponisten Arvo Pärt (geboren 1935), einem der wichtigsten Vertreter der Moderne. Man hat seinen Stil als minimalistisch beschrieben, als introvertiert, als "Tintinnabuli"-Stil, abgeleitet vom lateinischen Begriff "tintinnabulam" = Glöckchen. Britten war 1976 gestorben und suchte wie Pärt nach "außergewöhnlicher Reinheit" in der Musik. 1977/1980 entstand der "Cantus". Eine ungeheuerlich schöne Musik. Sie spielt mit langen Pausen – in denen die Stille in den Ohren rauscht – und steigert sich bis zum Mezzoforte in ganz eigener, intensiver Tonsprache. Und verklingt in den Obertönen eines Glockenschlags. Und wieder Stille. Sie ist in die Partitur geschrieben.

Gustav Mahlers (1860-1911) Adagietto aus der Sinfonie Nr. 5 – die Musik zum Visconti-Film "Der Tod in Venedig" – bot dann ein bekanntes Motiv der Trauer und des Sterbens und ließ die Harfe noch einmal expressiv hervortreten. Langer Beifall für ein außergewöhnlich intensives Musik-Erleben!

Als Zugabe stimmte Fitzner das Intermezzo aus Pietro Mascagnis Oper "Cavalleria rusticana" ("Sizilianische Bauernehre") mit allen drei Solisten an. Gleichfalls eine Filmmusik, nämlich die zu Scorseses Drama "Wie ein wilder Stier" und zu Coppolas "Der Pate III". Es sollte wohl nicht ganz in Meditation und Trauer enden.