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Folge fünf der Serie über Straßennamen in Wolmirstedt und die dazugehörigen Geschichten Ein sonderliches Völkchen siedelt an der Ohre

Von Tina Sauer 07.01.2014, 02:15

Wolmirstedt l In unserer Serie machen wir einen Spaziergang durch Wolmirstedt auf der Suche nach den Geschichten hinter den Straßennamen. Was hat es damit auf sich und wie kamen die jeweiligen Straßen zu ihrem Namen?

Der fünfte Teil der Serie "Wolmirstedter Straßennamen" führt uns zur Ohre, runter ans Fischerufer. Mit seiner schmalen Gasse aus Kopfsteinpflaster, dicht bebaut mit Häuschen an Häuschen, und den gelegentlichen Schlupfwinkeln hinauf zur Burgstraße ist das Fischerufer immer wieder einen Spaziergang wert. Diese Straße wurde schon bewohnt, als die Elbe noch dort entlang floss und den Menschen als Lebensmittelpunkt diente. Das war noch weit vor der ersten Erwähnung von Wolmirstedt im Jahre 1009 durch den Merseburger Bischof Thietmar.

Damals waren die Menschen laut Otto Zeikte fast wie ein eigenes Völkchen, die Fischer. In seinem Buch "Straßengesichter meiner Stadt" beschäftigt er sich mit dem Leben, dass die Menschen am Fischerufer führten. Sie soll die älteste eigenständige Siedlung am Elbefluss gewesen sein. Der Fluss ernährte sie und prägte sie auch. Später dann war es die Ohre, die durch ihren Fisch- und Krebsreichtum ein gute Lebensgrundlage darstellte.

Amtlich hießen die Fischer damals "Unterufrische"

Als Bischof Thietmar über den Ort Wolmirstedt berichtete, liegt er am Zusammenfluss von Ohre und Elbe. Die Fischersiedlung war dabei recht unabhängig und laut Zeitke von Chronisten als "sonderliche Gemeinde" bezeichnet. Die amtliche Bezeichnung für diese Fischer war "Unterufrische". Sie lebten ihre Sitten und Riten und ließen wiederum die Bewohner des Örtchens Wolmirstedt ihre Bräuche leben.

Eine Entdeckung im Jahre 1930 ließ neue Erkenntnisse über das Fischerufer ans Licht kommen, glaubte man vorher doch daran, dass Wolmirstedt nicht älter als die erste Erwähnung sei. In diesem Sommer 1930 fand man in einem Keller eines am Fischerufer stehenden Hauses Scherben von Krügen und Urnen. Archäologen nahmen sich diesem Fund an. Beim Sortieren, Bestimmen und Vergleichen der einzelnen Bruchstücke fanden Fachleute heraus, dass die Funde älter als Bischof Thietmar waren und somit auf ein Leben an diesem Ort vor der ersten urkundlichen Erwähnung hinwiesen. Ein handfester Hinweis, wo es vorher nur Vermutungen gab. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass das Fischerufer älter als die erste Erwähnung der Stadt war und auch der älteste Kern der Stadt sein könnte. An der Elbe als kleines Fischerdorf entstanden und vielleicht für längere Zeit als "Unterufrische" nicht zur Stadt gerechnet. Welch sensationeller Fund!

Selbst noch im 16. Jahrhundert hatte das Fischerufer eine Sonderstellung. Im Jahr 1590, erläutert Autor Otto Zeitke, wurde die Stadt Wolmirstedt in vier Viertel geteilt mit drei "Vorstädten". Eines davon war das Unterufer - die Unterufrischen, sogar mit einem eigenem Bürgermeister.

Heutzutage gehört das Fischerufer zur Stadt, die Bewohner sind keine "sonderbare Gemeinde" und richten ihr Leben nicht nach dem Fluss. Auf der Spur der Geschichte, um in ihr noch einmal zu schwelgen, lädt das Fischerufer jeder Zeit zu einem Spaziergang durch die geschwungene kleine Gasse am Ohre-Ufer ein.