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Knapp 30 Gäste in der Wolmirstedter Stadtbibliothek, als es hieß: "Alle Macht den Kindern" Lesetee mit der Geschichte einer verkehrten Welt

28.04.2012, 03:25

Wolmirstedt (mg) l Wenn der Sohn plötzlich befiehlt, fortan nur noch mit dem Auto zur Schule chauffiert zu werden und die Tochter ihre Mama zum Laubharken verdonnert, dann stimmt doch etwas nicht. Wie es ist, wenn die Kinder zuhause das Sagen haben, davon berichtete der Journalist Jochen Metzger zum 71. Lesetee in der Wolmirstedter Stadtbibliothek. Sein Buch "Alle Macht den Kindern" dokumentiert ein Experiment: Für einen Monat haben die Kinder Jonny (10) und Lara (13) das Kommando zuhause übernommen.

Vor knapp 30 Gästen las Metzger vor, wie es Fernsehverbot und rationiertes Taschengeld für die Großen gab, wie Jonny zunächst davon träumte, das Haushaltsgeld von mehreren hundert Euro für eine Spielkonsole auf den Kopf zu hauen, es dann aber doch nicht tat und wie die große Schwester Lara die Führung im Haus übernahm. Ob dieser Perspektivwechsel etwas im Verhältnis der Beteiligten zueinander verändert hat, interessierte die Besucher beim Lesetee. Zum Beispiel fragte Roswitha Natzel danach - mit Blick auf Bruder und Schwester. Metzger glaubt, dass der Bruder großen Respekt vor Lara gewonnen habe. Und vor allem sei auch sein Respekt als Vater vor seinen Kindern noch mehr gewachsen. Darüber hinaus sind es für Metzger eher Details, die für beide Seiten im Leben des anderen sichtbar geworden sind: Was die tägliche Sisyphosarbeit im Haushalt bedeutet oder wenn bei Streit zwischen Bruder und Schwester kein Schlichter zur Stelle ist. Der Familienvater glaubt auch, dass Jonny dadurch gelernt hat, sich gegenüber Älteren angemessen durchzusetzen. "Wenn er unterbrochen wird, sagt er jetzt zum Beispiel ganz ruhig: Du, lass mich mal bitte meinen Satz zuende reden." So zeigte sich für die Gäste, dass dieses Experiment einen Erziehungseffekt hatte - für beide Seiten. Und dass ein Elternpaar wie die Metzgers vielleicht nur deshalb auf die Idee für einen solchen Versuch gekommen ist, weil Kinder heute schon ein Stückchen mehr auf Augenhöhe mit den Eltern sind als in früheren Zeiten. Auf diesen Aspekt machte Frank Tuchen aus Wolmirstedt aufmerksam.

Früher habe man zum Beispiel akzeptieren müssen, wenn der Vater dies oder jenes im Radio hören wollte. "Wenn den Kindern heute die Musik im Auto nicht gefällt, dann wird doch gleich der MP3-Player durchgereicht und gesagt: Hier, Papa, stöpsel mal ein", sagte er mit einem Augenzwinkern, während sich seine achtjährige Tochter Joanne neben ihm genüsslich noch einen Kartoffelchip in den Mund schob.