1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wolmirstedt
  6. >
  7. Holocaust-Überlebender schildert Elftklässlern sein bewegtes Leben

Shlomo Wolkowicz zu Besuch im Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium Holocaust-Überlebender schildert Elftklässlern sein bewegtes Leben

Von Adrian Osterburg 18.10.2010, 04:21

Wolmirstedt. Die Stimmung im Klassenraum 116 ist angespannt. Die meisten der Elftklässler des Gymnasiums in Wolmirstedt wissen, dass ihnen ein emotionaler Vortrag bevorsteht.

Shlomo Wolkowicz, ein Überlebender des Holocaust, betritt den Raum. Marcella Mertig von der Landeszentrale für politische Bildung und Beate Kramer von iNi e.V ermöglichten den Besuch des 86-Jährigen im Gymnasium. Er beginnt, seine Geschichte, die das Massaker der SS im ukrainischen Zloczów beinhaltet, zu erzählen. Nur sein Husten durchbricht die Stille im Raum, mit der die Schüler seine Erinnerungen erwarten.

Als im Sommer 1941 der Krieg an der Ostfront begann, war Wolkowicz gerade 17 Jahre alt. Der Fluchtversuch, den er mit einem Freund unternahm und der in seinen polnischen Heimatort Jagielnica führen sollte, endete in Zloczów, da die deutschen Truppen die Stadt umzingelt hatten. Die Freunde mussten sich trennen. Shlomo kam bei seinem Onkel unter. Die SS befahl, dass sich alle Juden von Zloczów gegen 8 Uhr auf einem zentralen Platz der Stadt versammeln sollten, um zu arbeiten. "Wer das verweigert, wird erschossen" erinnerte sich Wolkowicz an die Drohung der SS. Er hingegen weigerte sich trotzdem. Fragende Gesichter bei den Schülern. Warum weigerte er sich trotz der drohenden Ermordung? Das alle Juden sich auf dem zentralen Platz versammeln sollten, verwunderte ihn. "Warum sollen sich Frauen und Kinder zum Arbeiten versammeln?", so Wolkowicz. Er schweigt.

Bis zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, welch schreckliches Schicksal ihm bevorstehen würde. "Der schlimmste und längste Tag meines Lebens begann", erklärt er. "Wir haben gerade gefrühstückt, als es an der Tür klopfte, allerdings öffnete niemand. Kurze Zeit später setzte ein erneutes Klopfen ein. Nachdem wir die Tür wiederholt nicht öffneten, stürmte ein Mann der SS brutal in die Tür", erläuterte er der elften Klasse. Der Mann der SS war gekommen, um ihn und seine Familie zu holen. Schweigen breitete sich im ganzen Raum aus.

Es hat lange gedauert, bis er über dieses Erlebnis sprechen konnte. Angefangen hat alles damit, dass er ein Buch für seine Enkelkinder schrieb, um diesen sein Leben zu erläutern. Später wurde daraus das Buch "Das Grab bei Zoczów".

Doch noch immer sieht er es als seine Pflicht an, den Jugendlichen von seinem Schicksal zu erzählen. Er spricht von unzähligen Leichen, die wie in einem Becken übereinander gestapelt waren. "Bei den Leichen handelte es sich höchstwahrscheinlich um die russische Geheimpolizei, die nach Eroberung der Stadt durch abziehende Russen getötet worden war", erklärt Shlomo. Den ganzen Tag über musste Wolkowicz die Leichen aus dem Becken auf einen Lastwagen tragen.

Seine Ahnung, dass bis zum Abend kaum jemand überleben würde, wurde durch das Erscheinen zweier Wachposten der SS, die ihre Maschinenpistolen geschultert hatten, bestätigt. Nachdem der Schusswechsel begann, suchte er Deckung, wurde währenddessen allerdings von einer Kugel getroffen. Unter toten Menschen begraben, lag er in einem Blutbad, doch plötzlich wurde das Manöver der Wachposten durch einsetzenden Regen beendet.

Erst in der Nacht hatte er genug Kraft, sich aus dem Becken zu befreien und zu fliehen. Nachdem er zu seinem Onkel zurückgekehrt war, setzte er wenig später seine Flucht mit Hilfe einer falschen Identität fort. Er wurde allerdings von einer ukrainischen Polizei aufgegriffen, da ein ehemaliger Schulkamerad seine Identität in Frage gestellt hatte. Dem Tod entkam Wolkowicz da er nachts mit seinem Taschenmesser die Zelltür öffnete und aus der Polizeiwache fliehen konnte.

"Doch tausend weitere, schlimme Kriegstage sollten folgen", schloss er seinen eindrucksvollen Vortrag ab.