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Johannes Schäm engagiert sich seit 1956 für seine Ortschaft und möchte sein Ehrenamt nun abgeben "Zu mir kann jeder kommen, zu jeder Zeit"

Von Petra Wiese 09.01.2014, 02:22

"Du bist spitze!" Sechs Kandidaten bewerben sich um den Titel "Lokalmatador 2013". Den Sieger ermitteln einzig die Volksstimme-Leser mit dem Abstimmungs-Coupon. In den nächsten Wochen stellen wir alle Kandidaten mit ganz persönlichen Geschichten vor. Heute: Johannes Schäm

Hohenlepte l Mit 83 Jahren gehört Johannes Schäm in Hohenlepte wohl ohne Zweifel zu den ältesten Ortsbürgermeistern des Landes. Ein weiteres Mal will er nicht zur Wahl antreten. Aus alters- und gesundheitlichen Gründen möchte er sein Amt an jemand Jüngeres abgeben und sich zur Ruhe setzen. Immerhin hat er sich seit 1956 für seine Ortschaft, die letzten fast 13 Jahre als Bürgermeister, engagiert. Johannes Schäm wünscht sich nur, dass, wer auch immer nach ihm kommt, die Ortschaft mit allen Ortsteilen - zu Hohenlepte gehören Kämeritz, Badetz und Tochheim - zusammenhält. Er hofft, dass nicht noch mehr Einwohner wegziehen, sondern, dass alles getan wird, dass die, die da sind, auch bleiben.

Johannes Schäm ist einer, der sich Problemen stellt und Sachen angeht. "Man kann nicht gleich weglaufen", dieses Motto gilt für ihn in allen Lebenslagen und diesen Rat gibt er an jeden gern weiter. Er selbst, geboren 1930, musste sich in seinem Leben schon den schwierigsten Situationen stellen. Seine Familie musste im Krieg die Heimat in der Mark Brandenburg verlassen.

Eine bewegende Geschichte kann Schäm erzählen, wie er schließlich Magdeburg erreichte und seinen Opa wiederfand. In der Landwirtschaft kam der junge Mann in Hobeck unter, konnte eine Ausbildung machen. In Hobeck lernte er auch seine Frau kennen. 1951 wurde geheiratet. Als Pächter kam Schäm 1955 nach Hohenlepte. Den Hof, wo Johannes Schäm heute noch wohnt, kaufte die Familie 1958.

In der Landwirtschaft war Johannes Schäm zu Hause. In der LPG wurde er 1962 zum Vorsitzenden gewählt. "120 Ja-Stimmen und zwei Nein-Stimmen gab es damals bei der Abstimmung", erinnert er sich noch heute, "ein Nein kam von meiner Frau". Im Fernstudium machte Schäm seinen Agrar-ingenieur. Von 1976 bis zur Wende war er technischer Leiter der LPG Tierproduktion. Die Trennung von Tier und Pflanze sei ein großer Fehler gewesen, meinte er. Dadurch habe es viel Neid und Krach gegeben.

Nach der Wende hat Schäm bei der Auflösung der LPG geholfen, konnte dann in den Ruhestand gehen. Doch der bedeutete keine Ruhe für den engagierten Hohenlepter. Dass er sich frühzeitig zur Gemeindearbeit hinreißen ließ, hatte sich so ergeben. Junge Leute aus der Landwirtschaft waren gefragt. Später war der LPG-Vorsitzende quasi gesetzt im Gemeinderat: "Wir haben versucht, LPG und Dorf unter einen Hut zu bringen, für beide was zu machen."

In Hohenlepte war man gut im Rennen: 1974 wurde gemeinschaftlich die zentrale Trinkwasserleitung verlegt, 1977 kam die Kläranlage für alle mit drei Oxidationsteichen. Zwei Feldwege waren schon in den 60-er Jahren betoniert worden. Die Ortsanbindung und der Ausbau der Straßen und Wege erfolgte dann umfassend nach der Wende. Die erste große Maßnahme war der Feldweg Eichholz-Hohenlepte, erinnert sich das einstige LDPD-Mitglied. Die Straße in Tochheim wurde gemacht, die Verbindungen Kämeritz-Tochheim und Kämeritz nach Nutha-Siedlung. Der Elberadweg verbindet Tochheim und Poleymühle. Nur die Anbindung Badetz konnte bisher nicht gemacht werden, bedauert Schäm, der eigentlich ganz überraschend Ortschef wurde, als der Amtsinhaber einfach seine Koffer packte und er als Vertreter ran musste. Die folgende Wahl im Mai 2001 ging dann eindeutig für den damals 71-Jährigen aus.

Alle Ortsteile von Hohenlepte sind erdverkabelt, verfügen über Straßenbeleuchtung, Gehwege wurden gebaut, es gibt Spielplätze, den Dorfplatz vor der Kirche in Hohenlepte, Rastplätze am R2. Johannes Schäm beklagt, dass Kämeritz, Tochheim und Badetz nicht an die zentrale Abwasserentsorgung angeschlossen sind und eben den noch nicht gelungenen Ausbau der Zufahrt nach Badetz.

"Ich ärgere mich, dass die Feuerwehr nicht mehr besteht", ist Schäm ein wenig traurig über das Ende einer traditionsreichen Truppe. Seit der Eingemeindung der Dörfer nach Zerbst ist Johannes Schäm auch als Vertreter im Zerbster Stadtrat anzutreffen. Nur eine einzige Sitzung hat er bisher verpasst. "Ich sehe es als meine Plicht, die Aufgabe wahrzunehmen", erklärt er. Er hört die Dinge gerne von Anfang an und "manchmal kann man doch etwas beeinflussen".

In Hohenlepte und den Ortsteilen ist der Ortsbürgermeister stets präsent. Früher war er mit dem Trabi oder mit dem Fahrrad auf "Kontrollfahrten" anzutreffen. Der Trabant ging mit der Abwrackprämie, Schäms Fahrrad ist heute ein Elektromodell - unterwegs ist er immer noch, wie nach dem letzten Sturm, um sich die Schäden anzuschauen. "Ich sehe nicht alles", so der Ortsbürgermeister, "wenn einer was sagt, kümmere ich mich darum. Zu mir kann jeder kommen, kein Thema, zu jeder Zeit. Das wissen alle."

Früher waren es Pferde, für die sich Johannes Schäm begeisterte, heute ist es immer noch die alte landwirtschaftliche Technik für die der Mann, der mit seiner Frau sechs Kinder großgezogen hat, ein Faible hat. Einiges ist noch vorhanden auf Schäms Hof, auf dem lebt auch Sohn Gustav mit Frau und Sohn - eines von elf Enkelkindern. Nicht zu vergessen gehören auch fünf Urenkel zur Familie. Zur 800-Jahrfeier von Hohenlepte konnten die Schäms Ausstellungsstücke beisteuern. Das Jubiläum war im vergangenen Jahr ein Höhepunkt im Wirken von Ortsbürgermeister Johannes Schäm, der nun auf eine würdige Nachfolge setzt.