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Änderung im Kommunalverfassungsgesetz gestattet Orten mit weniger als 300 Einwohnern keinen eigenen Rat Gibt es bald keine Ortschaftsräte mehr?

06.08.2014, 01:23

Am 1. August ist das neue Kommunalverfassungsgesetz in Kraft getreten. Orte mit weniger als 300 Einwohnern dürfen ab 2019 keinen Ortschaftsrat mehr haben. In Zerbst sind davon 16 der 24 Ortschaften betroffen.

Zerbst l Ortsbürgermeister Ralf Müller nimmt die Änderung im Gesetz mit Galgenhumor. "Herzlich Willkommen in der wohl letzten Legislaturperiode des Ortschaftsrates Luso", sagt er zur Eröffnung der ersten Ratssitzung. Die Ortschaft Luso liegt mit 269 Einwohnern unterhalb der 300er Marke. In Zukunft wird es hier wohl nur noch einen Ortsvorsteher geben, wenn es vom Stadtrat gewollt ist. Dieser übernimmt dann als Einzelperson die Aufgaben, die bislang der Ortschaftsrat hatte. "Das kann doch gar nicht klappen, für einen alleine ist das zu viel", sagt Bernhard Mücke aus Gehrden. "Nur, wenn man mit den Leuten spricht, hat man Bürgernähe", merkt er außerdem an. Drei Ortschaftsräte brauche es mindestens plus einem Ortsbürgermeister.

Andreas Dittmann, Bürgermeister der Stadt Zerbst, steht der Änderung kritisch gegenüber: "Die vom Land vorgegebene Abschaffung der Ortschaftsräte konterkariert das Ziel der Bürgerbeteiligung. Wir sollten vielmehr froh darüber sein, dass sich Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich für ihre Orte engagieren wollen. Das mit einem Federstrich abzubügeln, kann nur in eine Sackgasse führen." Die Änderung im Gesetz sei nötig geworden, so das Innenministerium, weil viele kleinere Ortschaften Schwierigkeiten hätten, genügend Bewerber für den Ortschaftsrat zu gewinnen. In Zerbst betrifft das die Ortschaft Buhlendorf. Hier findet am 9. November eine Ergänzungswahl statt. Trotzdem ist der Ortschaftsrat dort mit drei an Stelle von fünf Mitgliedern beschlussfähig.

Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt lässt den Stadträten und Gemeinderäten im Land eine Möglichkeit offen, auch für ihre Unter-300-Seelen-Orte einen mehrköpfigen Ortschaftsrat zu installieren: Die Dörfer müssten dafür allerdings zusammengelegt werden und bestehende Grenzen neu definiert werden: "Die Zusammenlegung kleiner Ortschaften zu einer größeren, mehr als 300 Einwohner zählenden Ortschaft eröffnet die nach Paragraf 82 bestehende Möglichkeit, die Vertretung in der neuen, in ihren Grenzen geänderten Ortschaft durch einen direkt gewählten Ortschaftsrat wahrzunehmen zu lassen", heißt es in dem neuen Gesetz. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass "die in Absatz 1 Satz 1 genannten Maßnahmen (...) nur zum Ende der Wahlperiode des Gemeinderates zulässig (sind). Für Manfred Hönl, Ortsbürgermeister in Bias, ist das keine Option. "Alleine die Problematik, unser Dorfgemeinschaftshaus zu verwalten, ich wüsste nicht, wie man das klären könnte", nennt er eine Problematik. Für andere Ortsbürgermeister ist die Zusammenlegung durchaus eine Option. "Wir hätten kein Problem, mit Buhlendorf oder Zernitz zusammenzugehen, wir haben da rein wirtschaftlich gesehen schon viele Verbindungen", sagt Lindaus Ortsbürgermeister Helmut Seidler. Er hat aber auch gut lachen, denn Lindau ist mit 1089 Einwohnern die derzeit stärkste Ortschaft von Zerbst. "Für die Gemeinden, die es betrifft, ist das aber natürlich ein Stück Wegnahme von Eigenverantwortlichkeit", sagt er und hat trotzdem den demografischen Wandel im Blick. Die Einwohnerzahlen der Ortschaften werden weiter sinken. "Momentan gibt es da noch Egoismus, aber wir müssen wahrscheinlich alle enger zusammenwachsen", so Seidler. Mit den Nachbarortschaften zusammen einen Ortschaftsrat zu gründen, das kann sich auch Bernhard Mücke vorstellen. Ihm kommt direkt in den Sinn, dass man ja "Halbe-Halbe" aus jedem Ort machen könne. "Aber ganz ohne, das geht nicht", sagt er.

Manfred Hönl aus Bias sorgt sich auch um die Arbeit im Ort selbst. "Wenn das so laufen soll wie geplant, dann müsste man in der Verwaltung noch einige Leute einstellen. Aus dem Rathaus kann man die Arbeit hier draußen nämlich nicht sehen", sagt er.

Bis die Änderung konkret in Kraft treten wird, vergehen noch fünf Jahre. Bis dahin hofft Stadtchef Andreas Dittmann: "Es wäre besser gewesen, wenn der Gesetzgeber hier eine Wahlmöglichkeit gelassen hätte. Es bleibt zu hoffen, dass sich bis zur Landtagswahl soviel Protest formiert, dass diese Regelung von den Landespolitikern noch einmal überdacht und geändert wird."