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In Gedenken verstorbener Kinder werden morgen weltweit Kerzen gezündet - eine für die Tochter von Nancy Groschoff Hannahs Geburtstag ist zugleich ihr Sterbetag

Von Karolin Aertel 07.12.2013, 02:07

Weltweit werden am morgigen "Worldwide Candle Lighting Day" Kerzen in Gedenken verstorbener Kinder gezündet. Eine davon wird für Hannah brennen - die kleine Tochter von Nancy Groschoff.

Magdeburg l Sie roch wie Erdbeeren. Die Käseschmiere war über Kopf und Hände verteilt. Hannah sah aus, als würde sie schlafen. Ihre Haut war zart. Und sie fühlte sich warm an. Jedoch war es nicht Hannahs eigene Körperwärme, sondern die ihrer Mutter. Hannah war zum Zeitpunkt ihrer Geburt bereits tot.

Es sind Erinnerungen, die Nancy Groschoff Tränen in die Augen treiben und zugleich ein Lächeln auf die Lippen. Ihre kleine Hannah in den Armen zu halten, gehört zu den schönsten und zugleich schmerzlichsten in ihrem Leben.

Es ist 13 Jahre her und es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen. Nancy Groschoff war 20, als sie schwanger wurde. Es war ein Wunschkind. "Ich wollte immer eine große Familie haben, drei Kinder sollten es einmal werden, deswegen haben wir früh mit der Familienplanung begonnen", erzählt sie. Die Freude war groß, das Kinderzimmer eingerichtet. Schmetterlinge hatte sie an die Wand gemalt. Der Bauch wurde größer und größer. Der Name stand fest. Hannah - die Anmutige.

"Sie sah aus, als würde sie schlafen. Ich habe nur darauf gewartet, dass sie zu schreien beginnt."

In der 37. Schwangerschaftswoche dann das Unfassbare. Sie spürt ihre Hannah nicht mehr. Keine Tritte. Keine Bewegung. Bei einer Untersuchung stellen die Ärzte fest, dass Hannahs Herz aufgehört hat zu schlagen. Nancy Groschoff fällt in einen Schockzustand. "Ich hatte das Gefühl, ich verliere meinen Verstand. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne", erinnert sie sich.

Einen ganzen Tag lang habe sie ihr totes Kind noch im Leib getragen, ehe die Geburt eingeleitet wurde. Sie gebar auf natürlichem Wege. "Ich kann gar nicht sagen, wie es mir ging. Ich habe einfach nur funktioniert."

Am 11. Dezember im Jahr 2000 brachte Nancy Groschoff ihre kleine Hannah zur Welt. Ihr Geburtstag gilt zugleich als ihr Sterbetag. Als Mutter entschied sie sich, ihr Kind dennoch sehen zu wollen. "Ich wollte sie nach der Geburt unbedingt in den Armen halten", erklärt sie. Eingewickelt in eine rosafarbene Strickdecke drückte sie die Kleine fest an sich. "Sie sah aus, als würde sie schlafen. Ich habe nur darauf gewartet, dass sie zu schreien beginnt."

Erst als die Schwestern kamen und ihr das Kind nahmen, realisierte sie, was geschehen ist. Von diesem Moment an fiel Nancy Groschoff in ein tiefes schwarzes Loch, aus dem sie auch ihr damaliger Partner lange Zeit nicht herausholen konnte - "obwohl er sich die größte Mühe gab", wie sie betont. "Ich war einfach so unendlich traurig. Meine Sehnsucht nach meiner Tochter wurde immer größer", erzählt sie.

Ihr Umfeld habe häufig nicht gewusst, wie sie mit der völlig traumatisierten jungen Frau umgehen soll. Einige Freunde haben sich abgewandt, einige haben es ignoriert, einige haben es mit Kommentaren wie "vielleicht besser so" oder "jetzt ist doch aber mal gut" verharmlost. Doch einige wenige haben sensibler reagiert. Sie haben mit ihr geweint und getrauert.

13 Jahre sind seitdem vergangen. Der Schmerz und die Sehnsucht sei immer noch groß. Doch inzwischen habe die heute 33-Jährige für sich Wege gefunden, damit umzugehen, ihm Ausdruck zu verleihen.

"Ich war an einem Punkt, an dem die Grenze zur Depression fließend war."

Hilfe bekam sie unter anderem von der Trauerbegleiterin Katrin Hartig. Diese lernte sie in ihrem Arbeitskontext als Sozialpädagogin kennen. "Ich war an einem Punkt, an dem die Grenze zur Depression fließend war", erinnert sie sich. Sie habe gespürt, dass sie Hilfe brauche. Und die bekam sie. In Gesprächen konnte Nancy Groschoff ihr Inneres nach außen kehren. Über Dinge reden, mit denen ihre Freunde und auch ihr Partner nicht umgehen konnten. "Ich habe gelernt, dass Trauern ein lebenslanger Prozess ist. Und ich habe gelernt, dass es mir hilft, diese Trauer zu gestalten."

Rituale seien dabei ganz entscheidend. So lässt sie jedes Jahr an Hannahs Geburtstag Ballons steigen, gestaltet eine Kerze und im vergangenen Jahr habe ihr heutiger Partner sogar einen Stern taufen lassen.

Diese Rituale und das Wissen um Möglichkeiten der Trauerbewältigung teilt sie mit Eltern, denen Ähnliches oder Gleiches widerfahren ist. Gemeinsam mit der Trauerbegleiterin Katrin Hartig gestaltet sie jeden ersten Montag im Monat ein Treffen für verwaiste Eltern. Zur Zeit gehören drei Väter und elf Mütter dieser Gruppe an, die sich um 18 Uhr im Wichernhaus der Pfeifferschen zusammenfindet.

Sie gestalten am morgigen Gedenktag verstorbener Kinder, dem "Worldwide Candle Lighting Day" (siehe Infokasten) eine "Gedenkzeit" in der Samariterkirche in Cracau. Als Symbol haben sie sich hierfür den Regenbogen ausgesucht: "Als Brücke zum Himmel - zu unseren Kindern", erklärt Nancy Groschoff.

Ein zweites Kind hat die 33-Jährige bis heute nicht. Überhaupt sei es unklar, ob Hannah je ein Geschwisterchen bekommen wird.