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Familienhilfe in Magdeburg Ein Haus hält Familien zusammen

Bevor das Jugendamt einschreitet und Kinder zu ihrem eigenen Schutz aus
Familien herausholt, kommen die Mitarbeiter des Familienhauses zum
Einsatz. Sie sollen verhindern, dass die Kinder im Heim landen.

Von Stefan Harter 13.05.2014, 03:20

Magdeburg l Nur wenige Tage alt war der Säugling, bei dem die zuständige Familienhelferin gleich nach dem ersten Besuch die Notbremse zog. "Das Kind muss aus der Familie raus, sonst überlebt es das Wochenende nicht", lautete ihr Urteil. Die alleinerziehende Mutter war von der Situation überfordert und gab ihrem Baby einfach keine Nahrung.

Dieser dramatische Fall ist glücklicherweise die Ausnahme in der Arbeit der Familienhelfer des Familienhauses Magdeburg und zeigt, wie ihr Besuch nicht enden soll. Seit nunmehr acht Jahren ist das als Zwei-Mann-Projekt gestartete Familienhaus im Einsatz, um solche sogenannten "Herausnahmen" von Kindern zu verhindern. Als "Familienhelfer der ersten Stunde" bezeichnen sich Thorsten Giefers und Marina Wölk, die 2006 der Zufall zusammenführte. Ihr Mann meinte beim gemeinsamen Joggen mit Giefers: "Ihr müsst euch mal kennenlernen."

Der Draht war sofort da, der Name des Projekts auch bald. "Weil eine Wohnung für alle Magdeburger Familien zu klein war, haben wir uns für das Haus entschieden", erzählt Marina Wölk. Inzwischen haben sie es sogar dazu gebracht. Seit einem Jahr gibt es das "Familienhaus im Park" am Rande des Nordparks als Treff für alle Familien und alle Generationen. Vergessen sind die beengten Räume am Uniplatz. Auch personell haben sie kräftig aufgestockt. Gut 75 Festangestellte, Honorarkräfte und freiwillige Lern- und Familienpaten sorgen für Leben im Familienhaus. Der Grund für den Zuwachs ist jedoch weniger erfreulich: Die Fälle werdern nicht weniger.

Ein Familienhelfer betreut bis zu acht Familien

Familien in "Zwangskontext" heißt ihr Klientel in Beamtendeutsch. Soll heißen, dort, wo das Jugendamt bereits in Erwägung zieht, die Kinder dem familiären Umfeld zu entziehen, sind sie gefragt. "Wir wollen den Familien eine Chance geben, zusammenzubleiben", sagt Marina Wölk. Die Herausnahme ist für sie keine Lösung. Alleine auch schon aus finanzieller Sicht: Ein Familienhelfer kann bis zu acht Familien betreuen, und der Kommune einen Heimplatz, der bis zu 5000 Euro kostet, ersparen.

Hinzukommt, dass es mittlerweile richtige "Karrieren" gibt. Auch die Kinder ehemaliger Heimkinder landen wieder dort. "Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen", sagt Wölk. Das gemeinsame Ziel: "Was können sie tun, um uns wieder loszuwerden?"

70 bis 100 Familien werden von den Familienhelfern betreut, erklärt Thorsten Giefers. Seit vergangenem Jahr neben Magdeburg auch noch in der Börde. Die Zahl hat zugenommen, weil auch die Aufmerksamkeit in der Nachbarschaft, in Schule und Kita zugenommen hat und mehr mögliche Problemfälle dem Jugendamt gemeldet werden, erläutert Wölk. "Die Bedrohungslage wird eher wahrgenommen", ergänzt Wölk.

Vom Elternfrühstück bis zum Krabbeltreff

Zwischen sechs Monaten und bis zu zwei Jahren kommen die Helfer regelmäßig zu Besuch, um zu verhindern, dass die Kinder ins Heim oder in eine Pflegefamilie kommen.Ziel ist aber eine möglichst kurze Zeitspanne, in der sie den Eltern die Baustellen zeigen, die sie langfristig allein bewältigen sollen. Meist mit Erfolg, aber nicht immer. Schließlich sind die Familienhelfer rein rechnerisch nur 3 Prozent der Zeit im Monat bei ihren Familien. Den Rest der Zeit müssen diese allein zurechtkommen. Dennoch: Einen Todesfall gab es bei ihnen bislang nicht.

Dabei geht es aber lange nicht nur um Gewalt in der Familie. Kindeswohlgefährdung fängt auch schon bei der falschen Kleidung an, erklärt Giefers. Mit Sandalen im Winter wurde ein Kind schon zur Schule geschickt. Ein Ansatz war es deshalb auch von Anfang an, die Familien zusammenzubringen, damit sie voneinander lernen. Das Elternfrühstück entstand, später ein Krabbeltreff. Die sind offen für alle Familien, so dass die betroffenen Familien von jenen lernen können, wo es besser läuft. Viele der betreuten Familien sind alleinerziehend und sozial benachteiligt, aber bei weitem nicht alle. In einem Teilprojekt, den "Ver-rückten Zeiten", kümmert sich das Familienhaus um Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen. "Wir wollen ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind", sagt Giefers. Hier sind oft auch höhere soziale Schichten vertreten. Auch Väter, denen der Umgang mit ihren Kindern nach einer Trennung nur in Begleitung gestattet ist, verleben mit ihnen im Familienhaus kurze Wiedersehen.

Mehr im Internet unter www.familienhaus-magdeburg.de.