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Konzentrationslager in Magdeburg Vor 70 Jahren erreichten die ersten Häftlinge das KZ

Von Pascal Begrich* 16.06.2014, 01:45

Magdeburg l Am 9. Juni 1944 einigten sich Rüstungsminister Albert Speer und die deutsche Flugzeugindustrie auf den Einsatz von 20.000 zusätzlichen weiblichen KZ-Häftlingen in der Kriegswirtschaft. Dies nahm der Polte-Konzern - als Munitionsproduzent für die Luftwaffe - zum Anlass, gegenüber seinem Hauptwerk in Magdeburg ein Konzentrationslager zu errichten. Das Außenkommando der KZs Ravensbrück und Buchenwald befand sich inmitten des Wohngebiets Wilhelmstadt (heute Stadtfeld) an der Poltestraße (heute Liebknechtstraße).

Am 14. Juni 1944 erreichte ein Transport von etwa 1.000 Häftlingen das Lager. Bis zum September 1944 erhöhte sich die Häftlingszahl auf über 1.800 Frauen. Bis zu seiner Auflösung stieg die Gesamtzahl der inhaftierten weiblichen Häftlinge auf 3.090. Sie kamen mit vier großen Transporten aus den Konzentrationslagern Ravensbrück, Stutthof und Bergen-Belsen nach Magdeburg. In ihrer Mehrzahl waren die Häftlinge polnische und sowjetische Frauen, die als Zwangsarbeiterinnen ins Deutsche Reich verschleppt worden waren. Hinzu kamen 600 Jüdinnen aus Ungarn, Polen, Litauen, Lettland, Rumänien und Österreich. Das KZ für Frauen wurde ab November 1944 durch ein KZ für Männer ergänzt.

Sadistisches Strafsystem prägte den Alltag

Hier waren bis Kriegsende etwa 1.000 Juden aus Ungarn, Polen und Litauen inhaftiert. Einzelne Häftlinge kamen auch aus Deutschland, Jugoslawien, Italien und der Tschechoslowakei. Wie in allen Konzentrationslagern, so waren auch im Außenlager der Polte-Werke die Lebens- und Arbeitsbedingungen von extremer Härte gekennzeichnet.

Die Frauen und Männer des Kommandos arbeiteten täglich zwölf Stunden in den verschiedenen Abteilungen der Munitionsproduktion. Es gab immer wieder schwere Unfälle. Die Zermürbungen und Drangsalierungen der Arbeitseinsätze fanden ihre Fortsetzung im Lagerleben. Entkräftung, Kälte, Hunger und Krankheit waren die ständigen Begleiter der Inhaftierten.

Hinzu kam ein grausames Lagerregime der SS-Wachmannschaften und Aufseherinnen. Stundenlange Appelle und ein sadistisches Strafsystem prägten den Alltag. Häftlinge wurden mit Scheinhinrichtungen gequält, ein junges ukrainisches Mädchen vor aller Augen wegen angeblicher Sabotage am Galgen hingerichtet. Dem Lager- und Arbeitsregime fielen mindestens 20 Frauen und Dutzende Männer zum Opfer. Mehr als hundert Häftlinge wurden wegen Arbeitsunfähigkeit nach Ravensbrück, Bergen-Belsen und Buchenwald in den Tod geschickt.

Nur 600 Frauen überlebten das KZ Polte-Magdeburg

Als die amerikanischen und sowjetischen Armeen im April 1945 näher rückten, löste sich das Lagerregime im KZ Polte-Magdeburg allmählich auf. Einigen Häftlingen gelang es am 11. April in die umliegenden Stadtviertel zu fliehen. Etwa 3.500 wurden am 13. April von Volkssturm und SS zusammengetrieben und auf einen Todesmarsch nach Ravensbrück bzw. Sachsenhausen geführt.

Bei einem Zwischenstopp auf dem Gelände des Stadions "Neue Welt" kam es zu einem Massaker der SS an mindestens 42 Häftlingen. Von den über 3.000 Frauen des KZ Polte-Magdeburg erlebten nur etwa 600 das Kriegsende.

Seit den 1980er Jahren erinnert ein Mahnmal an der Liebknechtstraße 65 in Form eines ehemaligen Lagertors an die Opfer des Außenkommandos. Das Tor wurde auf Initiative des Politischen Runden Tisches der Frauen Magdeburg und des jüdischen Frauenvereins Bereshith 2008 durch eine Gedenktafel ergänzt.

*Pascal Begrich, geb. 1974, Historiker. Seit 2009 Geschäftsführer von Miteinander e.V., nebenberuflich und ehrenamtlich Aktivitäten im Bereich Erinnerungs- und Gedenkkultur. Mehrere Veröffentlichungen, u.a. zum KZ-Außenlager Polte-Magdeburg.