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Magdeburgs letzte Gießerei schließt In Salbke ist der Ofen für immer aus

Sein Job war (ein) heißes Eisen, und René Kündinger hat ihn geliebt. Noch einmal kehrt der 40-Jährige an seinen Arbeitsplatz in Magdeburgs letzter Gießerei zurück. "Im Mittelguss war mein Revier", sagt er. Dort haben Kündinger und Kollegen "mittelgroße" Bauteile gegossen. Bis vor wenigen Tagen. Nun ist der Ofen aus.

Von Robert Richter 30.10.2014, 02:17

Magdeburg l "Wehmut. Enttäuschung", so beschreibt der 40 Jahre alte René Kündinger seine Gedanken jetzt mitten in der stillgelegten Werkshalle im Salbker SKL-Industriepark. "Es ist eine gespenstische Ruhe, wie ich sie hier drin noch nie erlebt habe", sagt Kündinger, der 15 Jahre in der Salbker Eisengießerei gearbeitet hat. In drei Schichten wurden hier Eisenteile gegossen. Nun ist auch die letzte Gießerei Magdeburgs 106 Jahre nach der Gründung Geschichte.

Die letzten Arbeitsverträge enden zum 31. Dezember. Jetzt bauen sie "ihren" Betrieb mit ab. Kündinger sagt es so: "Wir schaufeln unser eigenes Grab."

Die monatelangen verzweifelten Bemühungen der Belegschaft, ihren Betrieb zu retten, sind gescheitert. "Wir haben mit der IG Metall, der Stadt und dem Land versucht, neue Investoren zu finden. Doch mal hieß es, wir sind zu klein, und mal, wir sind zu groß", sagt Kündinger.

"Die Mitarbeiter haben immer alles für ihre Gießerei gegeben."

Betriebsratschef René Kündinger

Auf elektronischen Anzeigetafeln in der Halle flackert noch rote Schrift. Nächste Woche soll der Abbau der Anlagen beginnen, kündigt Jörg Vogel von der Geschäftsführung des Betreiberunternehmens Global Castings an. Ein Teil solle künftig in Schwesterunternehmen genutzt, ein Teil anderweitig verwertet werden. Inzwischen laufen laut Vogel Gespräche mit dem SKL-Industriepark über Nachnutzungskonzepte für das Gießereiareal, das sich im Besitz von Global Castings befindet. "Ziel ist, eine Industriebrache zu verhindern", so Vogel.

Die historische Industriehalle mit dem durchsichtigen Dach war einst als Teil der Maschinenfabrik Buckau-Wolf gebaut worden und ist bis auf einen Anbau aus den 1980er Jahren weitgehend originalgetreu erhalten. Durch zwei Weltkriege, DDR und Wende retteten sich die Salbker als zuletzt einzige Gießerei der Landeshauptstadt durch die Zeit. Bis Oktober 2014.

René Kündinger fing 1999 hier an. "Gelernt habe ich bis 1993 im Sket, dann kam die Bundeswehr, anschließend ging es hier los. Ich habe hier viel gelernt und erlebt", blickt der Familienvater zurück. "Die Mitarbeiter haben immer alles für ihren Betrieb gegeben, ob Lohnverzicht in den 90ern, oder bei der zwischenzeitlichen Insolvenz. Zuletzt schrieb unser Betrieb schwarze Zahlen. Für die neuen Investoren zählte das aber nicht", sagt Kündinger: "Wir verstehen die Entscheidung nach wie vor nicht. Und für Magdeburg als einstige Stadt des Schwermaschinenbaus ist das einfach traurig."

"Es gab Mitarbeiter, die haben hier ihr halbes Leben verbracht ... Das tut richtig weh."

Betriebsratschef René Kündinger

Der letzte Guss war am 22. Oktober, abends, in der Spätschicht. "Zwei Teile für Windkraftanlagen, ganz emotionslos, und das war´s", erzählt Kündinger äußerlich völlig gelassen. Abschiedsfeier? Kündinger winkt ab.

Das Angebot des Betreiberunternehmens Global Castings, am Standort Zeitz einen Job anzunehmen, sei nur für die wenigsten der 100 Beschäftigten eine Alternative gewesen, erzählt Kündinger. Eine Handvoll Mitarbeiter sei dorthin gewechselt, bestätigt die Geschäftsführung. Drei Mitarbeiter sind demnach nach Silbitz (Thüringen) gewechselt. Einige haben laut Kündinger inzwischen Jobs in anderen Unternehmen gefunden, doch: "Der größte Teil sitzt nun ,auf der Straße`. Vor allem für die 50- oder 55-Jährigen wird ein Neuanfang schwer."

Kündinger selbst, der jahrelang Betriebsratschef in der Gießerei war, hat auch noch keine neue Stelle. Erste Bewerbungen verliefen im Sande. "Aber ich bin optimistisch."

Die nächsten Gießereien sind in Tangerhütte und Staßfurt. Der Blick der arbeitslosen Gießereikollegen richte sich aber auch Richtung Nachterstedt, wo Aluminium für die Kfz-Branche gegossen werde. Kündinger zeigt Mitgefühl für die Kollegen: "Es gab hier Mitarbeiter, die waren seit 1972 im Betrieb, haben hier gelernt und hier in der Halle ihr halbes Leben verbracht. Für sie ist es doppelt bitter, wenn sie nun noch selber beim Abbau ihrer Firma mit anpacken müssen, das tut richtig weh."