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Magdeburger Carillonneur Am Glockenspiel fliegen die Fäuste

Am Mittwoch lädt der Verband der Stadtführer Magdeburg zum Glockenspielkonzert. Carillonneur Frank Müller wird ein Konzert geben.

Von Christina Bendigs 30.06.2015, 12:28

Magdeburg l Es rasselt und klappert in der Dachstube des Rathauses, wenige Meter unter dem Glockenspiel. Carillonneur Frank Müller lässt dort die Fäuste fliegen. Nicht im sprichwörtlichen Sinn. Doch um die Glocken anzuschlagen, arbeitet er mit der ganzen, zur Faust geballten Hand. Es ist ein schweißtreibendes Instrument, das vor Jahrzehnten seine Leidenschaft geweckt hat. Wieso? "Es ist die Verbindung von Technik und Musik, dass man mit etwas Schwerem wie einer Glocke schöne Melodien spielen kann", sagt er.

Vor ihm rankt eine Reihe von Hebeln auf, deren Aufbau einer Klaviatur gleicht. Daran befestigt sind Metallgestänge, die wiederum mit einem Klöppel verbunden sind, der die jeweilige Glocke anschlägt - sobald Frank Müller mit entsprechender Kraft darauf schlägt. Die Pedale eingeschlossen, sieht es aus, als würde Müller an einer Orgel sitzen. Doch die Konstruktion heißt Stockenklavier.

"Zur Einweihung durfte ich ihm die Noten umblättern."

Am Mittwoch wird der Musikschullehrer ab 18 Uhr für Besucher des Rathauses spielen. Er ist einer der wenigen in Deutschland, der das Instrument noch beherrscht. Und er war der letzte hauptamtliche Glockenspieler in der Nikolaikirche in Berlin. Frank Müller erzählt das mit Stolz, aber auch mit Wehmut. Denn überwiegend werden Glockenspiele heute elektrisch betrieben. Das funktioniert zumeist zwar fehlerfrei, aber die Dynamik, die Frank Müller den Glocken entlocken kann, fehlt.

Sein Interesse für Carillons wurde quasi mit dem Glockenspiel für das Magdeburger Rathaus geboren. Als 13-Jähriger fragte er seinen damaligen Musikschullehrer Günter Bust, ob er sich das Glockenspiel nicht einmal anschauen dürfe. "Zur Einweihung durfte ich ihm die Noten umblättern", erinnert sich Frank Müller schmunzelnd. Später durfte er selbst auch einmal daran üben.

Die Faszination hat sich bis heute gehalten. Mehr als 50 Glockenspiele hat er inzwischen schon zum Klingen gebracht. Und jedes sei anders, auf jedes müsse er sich neu einstellen. Das Magdeburger Carillon sei eines der schönsten, findet er. Denn die Glocken verfügen über einen klaren Klang und einen langen Nachklang. Nur werde es leider zu selten von Menschenhand gespielt.

So unterschiedlich wie die Glockenspiele, so unterschiedlich sind auch die Arrangements dafür. Schließlich muss Frank Müller den Tonumfang berücksichtigen, der ihm zur Verfügung steht und Stücke eventuell umschreiben. Der Musiker, der auf Wunsch seiner Eltern zunächst den Beruf des Motorenschlossers erlernte und Maschinenbau studierte, ehe er schließlich über Umwege zum Musikstudium kam, hat ein Gespür dafür, welche Stücke sich für ein Glockenspiel eignen. "Ich muss es mir vorstellen können, dann probiere ich es aus, und entweder es klappt, oder es klappt nicht", sagt er.

Die Besucher des Glockenspielkonzertes können sich auf Musik aus vielfältigen Stilformen freuen: von Klassik bis Schlager, von Romantik bis Rock und Pop. Ein wenig bedauert Frank Müller, dass er selbst die Reinheit des Carillons in der Spielstube durch die Nebengeräusche der Mechanik nicht hört. Deshalb freut sich Frank Müller auch, wenn mal ein anderer Glockenspieler zu Gast ist.

In seiner Jugendzeit hat er auch durch die Gäste viel gelernt, erzählt er. Wie angesehen das Glockenspiel ist, zeigt sich vor allem, wenn es einmal nicht funktioniert oder zur falschen Uhrzeit spielt. Dann gibt es sofort Anrufe. Und wenn dort zu lange geübt wird, da gibt es auch schon mal einen Anruf von einem genervten Anwohner oder Rathausmitarbeiter.

"Außerdem sollten häufiger Konzerte organisiert werden."

Deshalb gibt es im Rathaus noch einen exakten Nachbau des Instrumentes. Nur ist der nicht an die Glocken angeschlossen, sondern an eine Elektronik, die die Töne deutlich leiser und nicht von draußen hörbar wiedergibt. Am Mittwoch darf Frank Müller, der 2006 sogar noch sein Glockenspiel-Diplom in Dänemark ablegte, aber ganz offiziell in die Tasten hauen. Und er hofft, den Magdeburgern an einem lauen Sommerabend damit eine Freude bereiten zu können.

Für die Zukunft würde er sich zum einen wünschen, dass sich noch mehr Interessenten finden, die das Glockenspielen ebenfalls erlernen wollen. "Außerdem sollten häufiger Konzerte organisiert werden." Vielleicht mit Glockenspielern aus der Geburtsstube des Glockenspielens - aus Holland, Belgien oder Nordfrankreich. Dabei verfolgt er vielleicht auch ein ganz eigenes Interesse: Schließlich kann er selbst dann auch den klaren Klang der Magdeburger Glocken hören, ohne die Geräusche der Mechanik.