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  7. Schülerrat der IGS verhindert Awas\' Abschiebung: Syrische Mitschülerin darf Abi in Magdeburg bauen

Nominiert für den Magdeburger des Jahres: Marigona Huseni und ihre Mitstreiter von der IGS "Regine Hildebrandt" Schülerrat der IGS verhindert Awas\' Abschiebung: Syrische Mitschülerin darf Abi in Magdeburg bauen

Von Peter Ließmann 06.12.2011, 05:28

Zehn Kandidaten sind für den Magdeburger des Jahres 2011 nominiert. Die Volksstimme stellt alle Kandidaten vor. Heute: Marigona Huseni und ihre Klassenkameraden, die für eine bedrängte Mitschülerin gekämpft haben.

Magdeburg l "Ich kann nicht verstehen, dass Menschen über andere Menschen ein Urteil abgeben können, ohne diese überhaupt einmal gesehen zu haben", sagt Marigona Huseni. Sie ist Schülerin der IGS "Regine Hildebrandt" im Norden der Stadt. Die Schule trägt den Titel "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage", und die Schüler sind stolz darauf. Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Aktivitäten von Neonazis, an der "Regine Hildebrandt" sind das keine Themen, sagt Marigona Huseni. Und darum hat die Klasse 12/1, in die Marigona geht, das Schicksal ihrer Mitschülerin Awas Ahmi im Frühling auch ganz besonders berührt: Die gebürtige Syrierin Awas Ahmi (17) und ihre Familie sollte aus Deutschland ausgewiesen werden.

"Awas hat uns davon erzählt, und die ganze Klasse war empört", erinnert sich Marigona. "Manche hatten Tränen in den Augen, als sie davon gehört haben." Bei bloßer Empörung sollte es aber auf keinen Fall bleiben, waren sich die Schüler einig. Und dieser Entschluss hielt die Klasse 12/1 Anfang April rund 14 Tage in Atem und löste eine beispielhafte Welle von Solidarität für Awas Ahmi aus. "Als Erstes haben wir eine Unterschriftenaktion gestartet, die eigentlich nur zeigen sollte, dass wir hinter Awas stehen", sagt Marigona. Die Schüler der "Regine Hildebrandt" und die Lehrer und einige aus der Nachbarschaft haben unterschrieben. Was mit den Unterschriften tatsächlich passieren sollte, war am Anfang noch nicht ganz klar. Volksstimme-Fotograf Eroll Popova, der zu einem anderen Fototermin gerade in der Schule war, gab den Schülern dann den entscheidenden Tipp: "Ihr müsst damit an die Öffentlichkeit gehen."

Das haben die Schüler der Klasse 12/1 dann sofort getan. Die Volksstimme wurde um Hilfe gebeten, Fernsehen und Radio folgten. "Auf einmal war die ganze Sache bekannt", erzählt Viktoria Fritz. Öffentlichkeit allein reichte den Schülern aber nicht. Sie wollten für ihre Mitschülerin kämpfen, so bei der Jugendsprechstunde von Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD). "Er hatte sich den Fall auch gründlich angesehen, hat aber gesagt, dass er nicht weiß, ob er Awas helfen kann", erinnert sich Marigona. Aber OB Lutz Trümper sagte zu, sich persönlich darum zu kümmern. "Eigentlich waren wir erst etwas enttäuscht und hatten weniger Hoffnung als vorher."

An ein Aufgeben dachten die Schüler aber nicht und wurden darin von ihrer Schulleiterin und ihrer Klassenlehrerin bestärkt. "Frau Dr. Breitenfeld und Frau Balogh haben uns immer wieder Mut gemacht." So nahm Nelli Kiel zum Beispiel in ihrer Kirchengemeinde Kontakt zum Pfarrer auf und kam mit der Zusage zurück: Wenn die Familie Ahmi ausgewiesen werden sollte, bekommt sie Kirchenasyl! "Das hat uns wieder Hoffnung gemacht", sagt Svenja Beck. Überhaupt hat die Schüler gewundert, dass die Familie nach Syrien ausgewiesen werden sollte, denn zu der Zeit hatten dort schon die Proteste wie in anderen arabischen Ländern begonnen und die Lage war alles andere als friedlich oder politisch stabil. "In der Ankündigung der Ausweisung für Awas stand sogar, dass sie jung sei und sich dort ein Leben aufbauen könnte", erzählt Marigona. "In einem Land, in dem fast Bürgerkrieg herrscht." Aus eigener Erfahrung weiß sie auch, dass sich Kinder von Migranten in Deutschland meist eingelebt haben und sich wie Deutsche fühlen. Das gilt auch für Awas Ahmi. "Sie ist in unserer Schule voll integriert und lebt wie alle Jugendlichen hier." Und darum ärgerte die Schüler der "Regine Hildebrandt" auch, dass Awas Ahmi von der Ausländerbehörde als "nicht integriert" eingestuft wurde. "Niemand hat mit ihr gesprochen und sich ein Bild von ihr und ihrem Leben in Magdeburg gemacht", schüttelt Marigona den Kopf. Im Rahmen ihrer Aktionen für Awas nahmen die Schüler auch Kontakt zum Caritas-Verband auf. Der Sozialverband der katholischen Kirche kennt die Probleme von Asylbewerbern gut und sagt sofort seine aktive Hilfe zu. Und von dort kommt nach 14 Tagen dann auch die erlösende Meldung: Das deutsche Asyl- und Ausländerrecht solle geändert werden! Ausländische Jugendliche, die lange genug in Deutschland leben, dürfen bis zum 18. Lebensjahr bleiben und dann die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen.

Und da sie als Minderjährige nicht allein bleiben können, werden auch deren Eltern geduldet. Die Ausländerbehörde der Stadt Magdeburg sah die rechtliche Lage dann ebenso und teilte dies der Familie von Awas Ahmi mit. "Wir waren super glücklich und haben uns gefreut, dass unsere Aktionen am Ende doch etwas genützt haben", sagt Marigona.

Damit haben die aufregenden Tage im April 2011 erst einmal ein gutes Ende gefunden. Awas kann in Deutschland bleiben, an der IGS in Magdeburg ihr Abitur machen und sich ein Leben hier aufbauen. Und ihre Klassenkameraden, was bleibt für sie am Ende zurück: Den Zusammenhalt in der Klasse habe die Aktion weiter gestärkt.

Und: "Wir haben alle die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man kämpft, auch Erfolg haben kann. Und darum werden wir auch in Zukunft immer eine gute Sache unterstützen. Auch wenn wir nicht mehr hier in unserer Schule sind", sagt Viktoria Fritz.