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Grünland zu Wohnbauland - Siedlungsvorhaben in Nordwest löst einen Grundsatzstreit aus "Klar ist es schick, einen Garten im Zentrum zu haben, aber ist es auch sinnvoll?"

Von Katja Tessnow 07.05.2012, 05:24

Zwischen Steinkuhle und Lorenzweg erstreckt sich grün und großflächig die Dauerkleingartenanlage des Spartenvereins "Wredestiftung". Die Pläne, das Gartenland in Bauland umzuwandeln, entzweien den Stadtrat.

Nordwest l Der Anstoß zur Entwicklung des Areals zum Wohngebiet für den Bau von Einfamilienhäusern kommt aus dem Baudezernat. Es gedenkt, so geht es aus dem Beschlusspapier für den Stadtrat hervor, damit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Erstens könne dem bestehenden Bedarf an Grundstücken für den Hausbau - zumal in Zentrumsnähe - einmal mehr Genüge getan werden. Zweitens müsse die südlich ans potenzielle Baugebiet angrenzende Straße An der Steinkuhle "grundhaft ausgebaut" werden, was "wirtschaftlich unter Beachtung von anliegenden Kleingartenflächen ungünstig" erscheine. Zumindest aus Sicht der Stadt ist das korrekt. Baut sie eine Anliegerstraße aus, kann sie zumindest einen Teil der Kosten auf Anwohner umlegen. Beackert nebenan ein Gärtner seine Pachtscholle, zahlt die Stadt allein.

Das wäre ja nun eine ziemlich neue und empörende Entwicklung, intervenierte sinngemäß Oliver Müller (Linke): "Wir weisen Bauland aus, weil wir Geld für die Sanierung einer Straße brauchen?" Vorne auf dem Podium schüttelte der Baubeigeordnete Dieter Scheidemann (parteilos) zwar angestrengt lächelnd den Kopf über derlei Vorwürfe einer Stadtentwicklung zu Sparzwecken, allein, so steht es in der von seinem Dezernat selbst verfassten Begründung zum Beschluss schwarz auf weiß geschrieben.

Doch speist sich das Unbehagen von Teilen der Ratsversammlung im Angesicht des Bauvorhabens zuvorderst aus zwei anderen Fakten. Erstens: Mit der Dauerkleingartenanlage "Wredestiftung" soll eine Sparte weichen, in der alle Parzellen belegt sind. Die Gärtner werden sich kaum über ihre Vertreibung freuen. Zweitens: Der Flächennutzungsplan schreibt das Areal als Grünland fest, weil ihm eine Bedeutung als Kaltluftschneise zugeschrieben wird. Es dient der Belüftung der Innenstadt aus westlicher Richtung. Der Umweltausschuss erteilte dem Bauvorhaben deshalb eine Absage. Zum Unverständnis zum Beispiel von Hans-Jörg Schuster (FDP), der seine einer Wohnbebauung zugeneigte Rede in dem Ausruf gipfeln ließ: "Wir sind hier nicht in New York!" Er könne sich kaum vorstellen, dass eine eineinhalb-geschossige Bebauung mit Einfamilienhäusern die klimatischen Bedingungen im Bereich zum Negativen verändere, "zumal der benachbarte Berufsschulkomplex abgerissen wird und das Gebiet dann noch ganz anders luftdurchflutet wird". Schuster kann nicht nachvollziehen, "dass wir hier mit Zähnen und Klauen versuchen, jeden Kleingarten im Stadtzentrum zu erhalten" und neue Wohngebiete stattdessen am Stadtrand ausgewiesen würden. Schuster: "Klar ist es schick, einen Garten im Zentrum zu haben, aber ist es auch sinnvoll?" Ja, findet Linke-Fraktionschef Frank Theile: "Diese Gartensparte ist groß und sehr beliebt. Wir sehen nicht den dringenden Bedarf, hier Bauland auszuweisen. Wir haben anderenorts genug im Angebot."

Baubeigeordneter Scheidemann würde das nicht unterschreiben: "Der Bedarf ist da. Es gibt jedes Jahr 200 bis 250 Bauanfragen." Scheidemann weiter: "Zwar hat die Sparte derzeit einen guten Besatz, aber auch hier greift die demografische Entwicklung." Soll heißen: Die Generation der Kleingärtner stirbt aus. Zwar verzeichnet der Magdeburger Kleingartenverband vielerorts einen Freizug von Parzellen, allerdings würde er wohl kaum unterschreiben, dass sich kein Mensch mehr für die Pachtscholle interessierte. Besonders zentral oder reizvoll gelegene Sparten verzeichnen Nachfrage. Linke-Rat Mario Grünwald verwies zudem darauf, dass in die Sparte "Wredestiftung" schon mancher Gärtner umquartiert wurde, der seine Parzelle anderenorts aufgeben musste, weil wiederum dort Bauland ausgewiesen wurde: "Wenn man den Leuten versprochen hat, dass sie in dieser Anlage bleiben können, sollte man das jetzt nicht unterlaufen."

Die Fraktion SPD-future! stellte einen Änderungsantrag zur Güte. Er verlangt die großflächige Untersuchung des Areals in seiner Bedeutung als Kaltluftentstehungsgebiet. Für den Fall, dass sich durch eine Umwandlung der Gärten in Bauland eine klimatische Beeinträchtigung ergebe, "ist eine Festsetzung als Dauerkleingartenfläche bzw. als Grünfläche vorzunehmen". Der Antrag fand eine Mehrheit und schließlich - mit dieser Ergänzung - auch der Beschlussvorschlag der Stadt. CDU, SPD und FDP votierten für die Aufstellung des Bebauungsplanes; Linke und Grüne lehnten überwiegend ab.

Jetzt werden Gutachter bestellt. Die Kleingärtner müssen auf kalte Luft hoffen. Stehen Einfamilienhäuser dem Stadtklima nicht im Weg, werden die Gärtner weichen müssen.