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Am Kümmelsberg soll ein neues Wohngebiet entstehen / Die Nachbarn sind auf der Palme Kernfrage: Was müssen Anlieger erdulden, wenn in der Nachbarschaft gebaut wird?

Von Katja Tessnow 14.11.2012, 02:13

Seit fast drei Jahren versucht die Landgesellschaft Sachsen-Anhalt die LPG-Brache am Kümmelsberg für bauwillige Familien herzurichten. Blockiert wurde das Projekt bisher von der fehlenden Antwort auf die Frage: Wo entlang rollen die Baufahrzeuge und später die Bewohner an und ab?

Altstadt/Diesdorf l Die Sache ist etwas vertrackt. Auf der Hand liegt die Erschließung des neuen Wohngebietes über die Straße Am Kümmelsberg. Zwischen ihr und dem potenziellen Bauland liegen allerdings Flächen in Privathand; kein Zugriff für die öffentliche Hand. Die Besitzer pokern - offenbar hoch. Zumal: Auf ihrer Fläche will sich obendrein ein SB-Markt ansiedeln. Die Stadt wünscht eben dies mit Blick aufs Märktekonzept und in Sorge ums Überleben von bestehenden Nahversorgern im unweiten Olvenstedt nicht. So weit und auf den ersten Blick so weitgehend undramatisch. Denn es bleiben andere Wege ins neue Eigenheimviertel; konkret: die Gersdorfer und die Irxleber Straße. Die sind aus Sicht des Baudezernates fest und breit genug, um die neuen Verkehrslasten zu tragen, allerdings auch kopfsteinbepflastert und nicht im allerbesten Deckzustand. Die Anlieger dieser Straßen sind - gelinde gesagt - wenig amüsiert über die Aussicht auf mehr Verkehr vor ihren Türen. Was wiegt nun höher? Das Anwohnerinteresse oder das gesamtstädtische an einer Entwicklung der Brache zur familiären Ansiedlungsidylle?

Im Stadtrat wurde heftig um diese Frage gerungen - mit mehr oder weniger Verständnis für die besorgten Anlieger, denen obendrein auch noch Beitragsrechnungen ins Haus gehen könnten, wenn ihre Straßen für den wachsenden Betrieb doch ausgebaut werden müssten.

CDU-Fraktionschef Wigbert Schwenke legte einen Forderungskatalog vor, der für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen soll. Sinngemäß: Baubetrieb über Kümmelsberg abwickeln; die beiden Diesdorfer Straßen grundhaft auf Kosten des Investors ausbauen; erst danach über diese das neue Wohngebiet erschließen.

Oberbürgermeister Lutz Trümper machte im Anblick der Forderungen ziemlich dicke Backen: "So machen wir uns erpressbar." Auch Trümper hält, für die Bauphase und überhaupt, die Erschließung über den Kümmelsberg für den Königsweg. "Wir haben aber nun mal keinen Zugriff auf die Flächen und sollten ihn nicht zur Bedingung machen." Kurz: Das triebe den Preis noch weiter in die Höhe. Trümper zitierte aus eigener Nachbarschaft in Olvenstedt den Fall einer Erschließung von 400 neuen Eigenheimparzellen über zwei Anliegerstraßen und botschafterte damit an die Diesdorfer Anlieger sinngemäß: Da müssen auch Sie durch. Bernd Krause (Linke) stieß bei allem Verständnis für die alteingesessenen Diesdorfer ins gleiche Horn: "Bei uns in Olvenstedt ist der Sommer auch hin wenn der Block nebenan abgerissen wird." Krauses Fraktionschef Frank Theile warb durchaus um Verständnis für die Diesdorfer, "die solche Belastungen einfach nicht gewohnt sind". Er plädierte für eine Einbahnstraßenregelung zur Entlastung von Gersdorfer und Irxleber Straße zumindest während der Bauphase. Für die Grünen stellte Jürgen Canehl das Vorhaben gänzlich in Frage: "Wir sollten anderenorts Prioritäten bei der Entwicklung neuer Wohnsiedlungen setzen."

Bei Gegenstimmen und Enthaltungen von Linken und Grünen ließ der Rat die Baupläne schließlich passieren. Der CDU-Forderungskatalog wurde ebenfalls beschlossen - allerdings im Sinne eines Appells, also unverbindlich.

Fazit: Die Stadt (Verwaltung und Ratsmehrheit) will das neue Wohngebiet - auch um den Preis der Empörung Einzelner.