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Bei einigen Bewohnern der Schönebecker Müllerstraße kam die Flut sogar durch das Wohnzimmer Flutopfer packen ihre letzten Habseligkeiten

Von Matthias Fricke 11.06.2013, 03:19

Schönebeck l Tausende Menschen entlang der Elbe in Sachsen-Anhalt sind vom Hochwasser betroffen. Viele verloren ihr Hab und Gut. Was das heißt, mussten auch Bewohner der Müllerstraße in Schönebeck (Salzlandkreis) erfahren. Das Porträt einer überfluteten Straße zwischen Pumpen und Sandsäcken.

Gunnar Thermann packt in seiner Wohnung in der Müllerstraße die letzten Strümpfe in seinen Rucksack ein und stapft mit Badeschlappen und hochgekrempelter Hose durch das, was einmal sein Wohnzimmer war. Der Holzfußboden hat sich gewellt, die Möbel reif für den Sperrmüll. Auch die Einbauküche ist unbrauchbar. Wenn er an den schicksalhaften Flutsonnabend denkt, verfinstert sich seine Miene.

"Ich hatte wirklich gedacht wir schaffen das noch." - Gunnar Thermann

"Da drüben ist der unfachmännische Deichaufbau weggebrochen, dann rauschte die Flut auch schon heran", erzählt er, während er auch die Bücher noch in eine Kiste packt.

Alle Bemühungen, mit Sandsäcken das Wasser von der Müllerstraße fernzuhalten, schlugen fehl. Dann kam schon die Evakuierung. Als Thermann zurück ins seine Wohnung durfte, waren die ersten Fische im Aquarium verendet, weil zeitgleich mit der Überschwemmung auch der Strom ausfiel. Die Sauerstoffpumpe stellte ihren Betrieb ein.

"Da waren Buntbarsche und Zwergwelse drin", erzählt er und kann dabei nicht mehr in Richtung des leeren Glaskastens sehen. Die restlichen überlebenden Fische hat er nun an Freunde verschenkt. Die Fische gibt er auf. So wie seine Wohnung. Ein paar Straßen weiter schlüpft er bei seiner Freundin unter. "Ich hatte gedacht wir schaffen das", sagt der Hobbyfotograf. "Wir", das sind auch die anderen Bewohner der Müllerstraße. Zum Beispiel der 58-jährige Wolfgang Richter. "Das war heftig", meint der Zimmermannsgehilfe und ringt immer wieder um Fassung, wenn er über die dramatischen Stunden berichtet. "Das Wasser kam plötzlich von allen Seiten, auch aus den Gullys und dann lief es durch meine Wohnung", sagt er. Jetzt steht er auf der Straße und versucht hilflos, seinen Teppich zu trocknen. "Zu gebrauchen ist er ja eigentlich nicht mehr", sagt er. Zwischen zwei Sandsackwällen hat der Schönebecker ein trockenes Stück Straße gefunden, um seine nassen Sachen in die Sonne zu legen. Etwas skurril wirkt, dass nur wenige Meter weiter drei Mitarbeiter des Technischen Hilfswerkes vorbeipaddeln, dort wo das Wasser noch rund einen Meter hoch steht. Die jungen Männer sammeln nach dem Deichbruch in der Müllerstraße aufgegebene Pumpenteile ein. Wiederum ein Stück weiter treiben die Mülltonnen in den Parkbuchten umher.

"Zur Jahrhundertflut sind wir hier noch alle trocken geblieben." - Wolfgang Richter

Seit 1989 wohnt Wolfgang Richter in der Müllerstraße, doch so eine Katastrophe hat er noch nie erlebt.

Nicht einmal zur angeblichen Jahrhundertflut 2002. "Da sind wir hier noch alle trocken geblieben", sagt er.

Dieses Mal ist es anders. Er muss für einige Wochen komplett ausziehen, bis die Mietwohnung wieder hergerichtet ist. Es wird eng in der Zeit. Ob der Schönebecker eine Hausratsversicherung habe, wisse er gar nicht.

"Darum habe ich mich noch gar nicht gekümmert. Ich hoffe doch, dass ich so etwas habe", meint er.

Hilfe ist ihm in jedem Fall von seinen Nachbarn sicher. Solidarität wird in diesen Tagen groß geschrieben.

"Acht Wohnungen sind allein in diesem Haus überflutet." - Hauseigentümer Rudolf Gander

Als Rita Gander den nassen Teppich auf der Straße sieht, bietet sie ihm gleich einen fast neuen aus ihrem Büro an, den sie ihm schenken würde. Doch der 58-Jährige muss dankend ablehnen.

Was soll er in den nächsten Wochen mit einem Teppich, wenn er dazu nicht einmal eine Wohnung hat. Bei seinen Freunden, bei denen er vorübergehend eine Unterkunft hat, ist kein Platz.

Der Eigentümer des Hauses Rudolf Gander sieht durch die Überschwemmung eine Generalsanierung auf sich zukommen. "Acht Wohnungen sind allein in diesem Haus überflutet und unbewohnbar geworden. Der Schaden dürfte sich auf rund 250000 Euro belaufen", sagt er. Und das sei nur eine grobe Schätzung.

Der Schönebecker befürchtet nun, dass niemand mehr eine Wohnung im Erdgeschoss haben will. Schon jetzt glaubt Gander, dass er trotz einer noch bestehenden Elementarversicherung auf einem Großteil der Kosten sitzenbleibt.

Und: Seine Furcht, dass am Ende sich kein Mieter mehr für das Erdgeschoss finden wird, kommt nicht von ungefähr.

Die 37-jährige Ivonne Gruner und ihr Freund Heiko Saße wollen sich eine neue Wohnung suchen. "Wir haben die Nase voll. Wer weiß, wann das nächste Mal eine Flut kommt. Schade, wir haben hier eigentlich sehr gerne gewohnt", sagt sie. Die Müllerstraße war sechs Jahre ihr Zuhause. Sie verloren es an einem Tag.