1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Der gute Mensch von Hohengöhren

EIL

Gernot Quaschny hat selbst alles verloren und hilft anderen mit Kurierfahrten zu den überfluteten Dörfern Der gute Mensch von Hohengöhren

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 15.06.2013, 03:19

Elbe-Havel-Land l Nach dem Bruch des Elbdeiches bei Fischbeck sind viele Orte im Elbe-Havel-Land von der Außenwelt abgeschnitten, Hohengöhren ist einer davon. 67 Dorfbewohner sind geblieben. Ihre einzige Verbindung nach draußen sind die Schwimmpanzer und Fischer Gernot Quaschny.

Das Boot kommt! Gernot Quaschny steuert zum zweiten Mal an diesem Tag die sehnsüchtig erwartete Fracht auf den Hohengöhrener Ortseingang zu. Endlich Land in Sicht! Denn das Fischbecker Deichbruchwasser fließt um den kleinen, etwas höher gelegenen Ort herum. Gut 300 Menschen haben hier ihr Zuhause. 67 von ihnen sind auch nach der Evakuierung mit Hubschraubern geblieben. Warum? "Ich kann unsere Tiere nicht allein und verhungern lassen", begründet Christina Stahl ihre Entscheidung. Der am höchsten gelegene Hof von Stefan Möwing ist so etwas wie die Arche Noah. Denn bevor die Dorfbewohner wegen des auch bei ihnen drohenden Deichbruches evakuiert wurden, brachten viele ihr Vieh dorthin hoch auf den Berg, sogar Alpakas stehen auf der großen Wiese.

Die Existenz ist in den Fluten der Elbe untergegangen

Während es überall im Dorf trocken ist, steht ein Hohengöhrener Haus anderthalb Meter unter Wasser. Es ist das Zuhause von Fischer Gernot Quaschny. Am Ortseingang, in einer Senke, hatte er sich ein Kleinod geschaffen. Wohnhaus und alle Gebäude seines Betriebes sind seit Dienstag überflutet.

Am Tag zuvor hatte er noch mit Feuerwehrleuten und später mit der Bundeswehr an der Abbruchstelle des Hohengöhrener Deiches mit Pfählen und Sandsäcken ein weiteres Abrutschen des Walles verhindert. Dass der nur noch zur Hälfte vorhandene Damm bis heute dem Druck standhält, ist für alle Beobachter ein Wunder.

Doch die Mühe lohnte sich zumindest für den Fischer selbst nicht. Denn aus Fischbeck bahnte sich das Elbwasser unaufhaltsam seinen Weg gen Norden. Ein paar Dinge konnte er noch retten. "Das hier war mal meine Existenz!" Hatte er auf seinen Kurierfahrten bisher einen Bogen um sein Haus gemacht, lenkte er seinen Kahn am Donnerstag dann doch dorthin. Wortlos schaut er sich an, was das Wasser angerichtet hat. Über das zwei Meter hohe Hoftor kann er bequem drüberfahren. Durch die offenen Fenster wirft er einen Blick in die Stube, denkt an die unbeschwerten Stunden, die er hier mit Lebensgefährtin Sandra verbracht hat.

Und dann stellt er den Motor wieder an - genug gesehen, weg hier! Emotionen lässt er nicht zu. "Ich will gar nicht daran denken, was mal werden soll!" Seit 33 Jahren ist er mit Leib und Seele Fischer, bewirtschaftet ein Stück Elbe, den Schelldorfer und den Klietzer See. Er engagiert sich im Landesfischereiverband und fordert schon lange, der Elbe mehr Raum zu geben. "Der Fluss gibt uns viel Gutes. Aber wir Menschen zwängen ihn immer mehr ein, das rächt sich nun böse."

Alles ist am Boden! Allein kommen wir nicht mehr auf die Beine

Gerade 50 Jahre alt geworden, muss Gernot Quaschny bei Null anfangen. Er ist resigniert, aber auch wütend. "Das hier hätte alles nicht sein müssen! Warum hat das Land beim Deichbau gespart? Wir hier im Elbe-Havel-Land sind das Bauernopfer für die großen Städte weiter nördlich. Der Fischbecker Deich wurde einfach aufgegeben, man hat nicht mal mehr versucht, aus der Luft etwas abzuwerfen, damit das Wasser endlich aufhört auszudringen. Uns lässt man einfach absaufen. Daran denkt die Bundesregierung hoffentlich, wenn es um den Wiederaufbau geht. Hier ist doch alles am Boden! Von allein und ohne staatliche Hilfe kommen wir niemals auf die Beine." Der Hohengöhrener befürchtet, dass die Regierung jetzt große Reden schwingt, "aber sobald das Wasser weg ist und die Bilder verblassen, redet niemand mehr von uns und wir stehen mit all der Zerstörung und dem Dreck allein da".

Ob er eine Versicherung hat? "Die ist nach dem Hochwasser 2002 so teuer geworden, dass ich mir die gar nicht mehr leisten konnte." Ein Wohnwagen auf dem Hohengöhrener Damm ist jetzt das Zuhause von Gernot Quaschny und seinem Terrier "Ombre", seine Sandra und auch die anderen Hoftiere sind weit weg. Nachts findet er kaum in den Schlaf. Und schon frühmorgens steigt er wieder in seinen Kahn. Er bringt Diesel in Kanistern nach Schönhausen und Hohengöhren, wo die Notstromaggregate rund um die Uhr laufen. Kartoffeln, Hundefutter, Werkzeug, Hühner ... die Bestellzettel sind lang.

Wälle bauen, Tiere füttern, essen - das ist das Tagwerk der Bewohner

Als er am Donnerstagabend nach dem Abstecher zu seinem Haus in Hohengöhren anlegt, wird das Boot für die Rückfahrt mit Maschinen von Zimmerer Hartmut Wagener beladen. Der will versuchen, ab Montag wieder im Brandenburger Raum zu arbeiten, die Kunden warten. Wie es den verbliebenen Hohengöhrenern geht? "Wie im Urlaub! Wir treffen uns morgens um 8 Uhr zum Frühstück am Feuerwehr-Gerätehaus, mittags gibt es leckeres Essen und abends wird gegrillt. Heute gibt es Eierback, wir haben ja genug Hühner", erzählt Hartmut Wagener. Seiner Frau gehört die Gaststätte "Stadt Braunschweig", wo gekocht wird. "Zu Essen haben wir mehr als genug. Die jetzt abtauenden Kühltruhen der Hohengöhrener sind voll. Und die Bundeswehr bringt uns mit Schwimmpanzern Verpflegung." Das Tagwerk? Tiere füttern, ein paar Sandwälle an den Ortseingängen gegen eventuell steigendes Wasser bauen, "sonst nichts". Zeitungen, die die Volksstimme gestern mit Gernot Quaschny mitschickte, waren eine willkommene Abwechslung.

Die Baumaschinen sind nicht die einzige Fracht, die Gernot Quaschny mit zurücknimmt auf den Damm. Die knapp 90 Neuermark-Lübarser, die ebenfalls auf einer Insel ausharren, haben eine lange Einkaufsliste geschrieben und dafür 1000 Euro in eine Dose gepackt. Die übergibt Gernot Quaschny auf dem Damm an Bekannte der Neuermark-Lübarser, die in Rathenow einkaufen. Nachmittags liefert der Fischer dann das Bestellte ab.

Sieben-, achtmal fährt das Boot am Tag vollbeladen hin und her. Ganz ungefährlich ist das nicht. Nach Schönhausen muss die überflutete ICE-Strecke überquert werden, überall stehen Zaunpfähle, Koppeldraht und treibender Müll können sich im Motor verheddern.

Selbst am Ende der körperlichen und geistigen Kräfte ist Gernot Quaschny froh, anderen helfen zu können, "ich kann jetzt nicht abhauen und die Leute im Stich lassen".