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Viele Rathäuser schreiben tiefrote Zahlen / Manche Probleme sind hausgemacht Kommunen in Not: Ohne Hilfe geht es abwärts

Von Hagen Eichler und Christopher Kissmann 23.07.2013, 01:07

Magdeburg l Die Landesregierung hat im Fall der Pleite-Kommune Oberharz am Brocken ein Zeichen gesetzt: Ein Sparkommissar kämpft derzeit gegen das Defizit. Doch hochverschuldet sind auch viele weitere Kommunen im Land.

Als er keinen Ausweg mehr weiß, setzt der Bürgermeister einen Brief auf. Er schildert sein Dilemma: Immer tiefer rutscht die Stadt in den Schuldensumpf. Das Land fordert als Gegenleistung für Finanzhilfen Einschnitte für die Bürger, doch der Stadtrat lehnt das ab. In einem halben Jahr, kündigt der Bürgermeister an, werde die Stadt keine Rechnungen mehr zahlen können - sie wäre quasi pleite.

Einige Monate liegt dieser Hilfeschrei jetzt zurück. Verfasst hat ihn Hans-Rüdiger Kosche, Bürgermeister der Stadt Hecklingen (Salzlandkreis). Wenn alles gut geht, überweist der Finanzminister in wenigen Tagen Geld auf das Konto der Stadt, die Zahlungsunfähigkeit ist damit abgewendet - vorerst. Doch das Dilemma bleibt: Die Kleinstadt wird erdrückt von hohen Schulden.

Etliche Städte und Gemeinden hängen am Tropf des Landes. Denn anders als die US-Großstadt Detroit können deutsche Kommunen nicht Insolvenz anmelden. Ist die Stadtkasse leer, muss das Land einspringen. Auch in Sachsen-Anhalt ist das Alltag: Seit 2010 hat das Finanzministerium rund 60 Millionen Euro Liquiditätshilfe an 40 Gemeinden ausgezahlt - das ist etwa jede sechste im Land.

Bei einer Ausstattung wie im Oberharz hätte Magdeburg 120 Bäder

Hecklingen wartet derzeit auf 1,3 Millionen Euro, ein Ergebnis des Bürgermeister-Brandbriefs. Doch selbst das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. 1,9 Millionen Euro beträgt die Kreisumlage für dieses Jahr, dabei sind noch gestundete Beiträge für 2012 offen. Auf 1,2 Millionen Euro beziffert der Bürgermeister das strukturelle Defizit, also die Summe, die Jahr für Jahr fehlt. Den letzten ausgeglichenen Haushalt gab es vor knapp zehn Jahren. "Ich habe die leeren Kassen geerbt", sagt Kosche, im Amt seit 2008.

Bevor der Finanzminister die Schatulle öffnet, müssen diese schmerzhafte Einschnitte beschließen. Hecklingen etwa sollte die Grundsteuer und die Gewerbesteuer anheben, auch die Hundesteuer und die Friedhofsgebühren.

Das Finanzministerium redet nicht gern darüber, wie viele Kommunen Landeshilfen in Anspruch nehmen müssen. Eine Kleine Anfrage der Linken brachte vor zwei Jahren zutage, dass ein Dutzend Rathäuser auf Liquiditätshilfen warteten. Bei 84 weiteren Kommunen war es mit diesem zinsgünstigen Überbrückungskredit nicht getan, sie brauchten Zuschüsse.

Bis auf zehn kleine Gemeinden hat jede Kommune in Sachsen-Anhalt Schulden. Das ist auch nicht grundsätzlich ein Problem, sagen die Experten beim Städte- und Gemeindebund. Selbst hohe Schulden sind ungefährlich, wenn die Kommune das Geld investiert hat und ausreichend Einnahmen hat. Schuldenkönig in Sachsen-Anhalt ist die Stadt Landsberg im Saalekreis: Auf jedem Einwohner lasten rechnerisch mehr als 3000 Euro Verbindlichkeiten. "Schön ist das nicht", sagt Verwaltungsleiter Christian Hoppe, "aber unser Haushalt ist dennoch gesund." Landsberg habe ausreichend Einnahmen und einen ausgeglichenen Haushalt, obwohl viel Geld in den Schuldendienst fließt.

Ganz anders die Lage in der Stadt Oberharz: Sie hat kaum Einnahmen und dennoch jedes Jahr gewaltige Ausgaben. Allein für sechs Bäder zahlt das Rathaus. Gemessen an der Einwohnerzahl ist das so, als wenn Magdeburg 120 Bäder hätte - tatsächlich sind es fünf.

Der Städte- und Gemeindebund warnt allerdings davor, von den Problem-Kommunen auf die Gesamtheit zu schließen. Tatsächlich profitieren viele Kämmerer von sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen. Zugleich verringert das Entschuldungsprogramm Stark II die Belastung. Die durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung ist im vergangenen Jahr auf 971 Euro gesunken, nach 1048 Euro im Vorjahr.

Die Stadt Oberharz hat davon nichts - dort ist selbst die Auflösung kein Tabu mehr.