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1813 wurde im thüringischen Altenburg des Deutschen liebstes Kartenspiel erfunden / Wer spielt heute noch? Von Oliver Schlicht 200 Jahre Skat: Senioren reizen, Jugend passt

24.08.2013, 01:13

Barleben l "18, 20, passe." Im Lehrlingswohnheim, am Stammtisch in der Kneipe oder beim Preisskat - Skat wurde früher allerorten gedroschen. Heute suchen sich die jungen Leute reizvollere Spiele. Dabei feiert das Kartenspiel gerade Geburtstag.

Gleich geht es los. 19 Skatfreunde sind zum Übungsskatabend des Skatsportvereins Barleben in den Barleber Hof gekommen. Der Verein lädt dazu immer am Donnerstag um 19 Uhr ein. Hier sind echte Profis am Werk. Die Barleber spielen in der 2. Bundesliga der International Skat Players Association (ISPA). Fünf Euro Startgeld kostet das Mitspielen am Donnerstag. Zwei Runden in unterschiedlicher Spielerbesetzung mit jeweils 36 Spielen werden ausgetragen.

Die Mitspieler sind an diesem Abend bis auf eine Ausnahme männlich und zwischen 60 und 80 Jahre alt. Der Reporter spielt auch mit. Und freut sich drauf. Aber Übungsskat? Es geht zu wie beim Preisskat. Bier wird wenig bis gar nicht getrunken. Die Akteure blicken überwiegend ernst und schweigend über ihre Blätter. Vier Stunden lang.

Das letzte Spiel des Reporters ist erst drei Wochen her. Mit Frau und Kind im Urlaub in Cornwall vorm Wohnwagen. Das war wirklich lustig. So viel sei verraten: Lustig war es weniger in Barleben.

Überraschende Farbe ins Spiel gebracht

Als ich das erste Mal am Tisch eine Farbe nachziehe, die nicht falsch, aber in der Spielsituation vielleicht ein wenig überraschend daherkommt, macht sich im Gesicht meines Mitspielers gegenüber Enttäuschung breit. Nein, er sagt nicht: "Der Pressefuzzi versaut mir jetzt hier den Skatabend." Er beginnt fortan nur höflich seine Spielerläuterungen mit der Einführung: "Wenn anders gespielt wird, dann ..."

Und Erläuterungen folgen nach fast jedem Spiel - sicher auch eine Folge meiner nuancenreichen Spielweise. "Haben Sie das jetzt verstanden?", fragt irgendwann forsch der andere Mitspieler. Ich nicke, obwohl ich so am späteren Abend eigentlich keine Nerven mehr für mehrminütige Erläuterungen habe. 36 Spiele an diesem Tisch. Mit zunehmender Spieldauer beginnen die Finger vor dem Ausspielen leicht zu zittern - Gott, gleich fallen sie wieder über mich her.

Machen sie nicht. Sind eigentlich sogar ganz nett, die beiden. Und verglichen mit dem, was ich am zweiten Spieltisch gleich noch erleben sollte, war das unbedingt der harmonische Teil des Abends.

Doch zunächst ein Blick zurück. Altenburg in Thüringen feiert am nächsten Wochenende die Geburt des liebsten Kartenspiels der Deutschen. 1813 wurde "Scat" dort im Umfeld der Völkerschlacht von Leipzig erfunden. Von Beginn an wurde das neue Spiel auch um Geld gespielt. Die erste urkundliche Erwähnung von "Scat" geht auf einen notierten Gewinn von einem Taler und 13 Groschen zurück.

Seither gilt Altenburg - wo schon seit dem 16. Jahrhundert Spielkarten gedruckt wurden - als die Wiege des Skat. Der Deutsche Skatverband (DSKV) geht davon aus, dass heute etwa 20 Millionen Bundesbürger die Regeln des Skatspieles kennen. Tatsächlich gespielt wird Skat aber von immer weniger Menschen. "Wir haben eindeutig ein Altersproblem. Jugendlichen interessieren sich kaum noch für Skat", erzählt Ronald Heydecke, Vizepräsident des DSKV-Landesverbandes Sachsen-Anhalt.

Unter den derzeit 470 Mitgliedern in knapp 40 Sportskatvereinen gibt es nur zwölf Mitglieder, die jünger als 18 Jahre sind. Dabei kommt man den jungen Leuten schon entgegen. "Sie brauchen keinen Jahresbeitrag zahlen, sie brauchen sich zu Turnieren nicht zu qualifizieren und bekommen Freiplätze, wenn sie halbwegs gut spielen können. Aber es fehlt trotzdem das Interesse", so der Vizepräsident. Das Internet und Computerspiele hätten dem Kartenspiel schlichtweg den Rang abgelaufen.

Der Spielort Kneipe ist häufig geschlossen

Aber selbst Spieler, die unter 50 Jahre alt sind, seien heute eher die Ausnahme. Der Spielort Kneipe sei im ländlichen Raum häufig geschlossen worden. Heydecke: "Man kann mit Skat kein Geld verdienen. Und Geld verdienen ist in der heutigen Zeit nun mal das Wichtigste." Zur Jahrtausendwende gab es noch 70 Skatsportvereine in Sachsen-Anhalt. Bald wird sich diese Zahl halbiert haben, denn die meisten Mitglieder sind im Rentenalter. "Wir werden wohl damit rechnen müssen, dass es im Land bald Regionen gibt, in denen kein Sportskat mehr gespielt wird", glaubt Ronald Heydecke.

Noch ist es aber nicht so weit. In Vereinen wie in Stendal ("Lustige Buben"), Naumburg ("Spitzbuben"), Magdeburg ("Reform-Buben") und Sangerhausen ("Rosen-Buben") wird Sportskat in verschiedenen Ligen der beiden deutschen Skatverbände gespielt, um nur einige "Buben" zu nennen.

Der Verein in Barleben gründete sich erst 2004. Vorsitzende Margit Blume: "Anlass der Gründung waren enttäuschte Magdeburger Spieler, die einen neuen Verein gesucht haben. Inzwischen sind wir 32 Mitglieder." Viele davon sind hochklassige Spieler, die von Magdeburg nach Barleben gewechselt sind. 2008 durfte der Verein sogar die Deutschen Meisterschaften der ISPA ausrichten. 2011/2012 gelang den Barlebern für eine Saison der Aufstieg in die 1. Bundesliga.

Und die Jugendarbeit wird auch unterstützt. "Wir organisieren seit 2009 eine Skat-Arbeitsgemeinschaft an der Sekundarschule von Barleben. Aber mehr als fünf bis acht Schüler haben sich bislang nicht für Skat interessiert", erzählt die Vorsitzende. Wer mitmachen möchte, ist herzlich eingeladen in den Barleber Hof, donnerstags, zum Übungsskat.

Schon vor dem Spiel so herablassend geguckt

Da lernt man fürs Leben. Zweiter Tisch, zweite Runde. Dieser Typ hatte schon vor dem ersten Spiel so herablassend geguckt. Typ Kampf-Rentner. Fast 80 und ganztagsunzufrieden. "Ich will nicht fotografiert werden. Ich war bei der Stasi", hat er schon vor dem Übungsskat in den Raum gerufen. Einer hat gelacht. Da hatte der Reporter noch gedacht, das war ein Gag. Doch nun ist der Kampf-Rentner auf dem Klo und die anderen beiden am Tisch flüstern schnell: "Der war mal Parteisekretär. Und nun ist er gnatzig, weil er keine Macht mehr hat. In einem anderen Verein ist er schon rausgeflogen."

Was war passiert? Es ist das zweite Spiel. Mitspieler links nimmt den Skat auf, lehnt sich zurück und spricht so vor sich hin: "Na, die Buben sitzen doch bestimmt verteilt." Da hat der Reporter spöttisch gelächelt und gescherzt: "Klar sitzen die Buben verteilt." Die Augen hinter der Kampf-Rentner-Brille verengen sich zu flachen Schlitzen: "Was hast du eben gesagt?" "Dass die Buben verteilt sitzen."

Seine Hand auf dem Tisch bildet langsam eine Faust: "Noch ein Wort und ich verlasse den Tisch." "Ja, aber das war doch ironisch gemeint." Da schreit er plötzlich los und steht dabei halb auf: "Du sollst die Gusche halten! Hier wird um Geld gespielt!" Fast fliegt mir das Blatt aus der Hand. Vorsichtige Versuche der anderen Mitspieler, den Genossen emotional wieder einzufangen, laufen ins Leere. Jetzt werden auch sie beschimpft.

Wir haben dann alle die Gusche gehalten. Zwei Stunden lang. Aber sonst ist Skat wirklich ein schönes Spiel.