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Zum 200. Jahrestag heißt das Motto Versöhnung. Von Gerald Semkat Völkerschlacht: Das große Gemetzel

17.10.2013, 01:14

Leipzig/Magdeburg l Die Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 geht als die bis dahin größte Schlacht in die Weltgeschichte ein. In Deutschland deutete sich jedes politische System das Ereignis zurecht.

Der 17. Oktober 1813 ist ein kalter, trüber Sonntag. Es regnet. Rund um Leipzig stehen sämtliche Armeen - Franzosen, Russen, Preußen, Schweden, Österreicher - und erwarten den Angriff des Feindes. Der bleibt aus.

Napoleon lässt die Glocken zum Sieg läuten. Dabei hatten tags zuvor preußische Linieninfanterie, Mecklenburger Husaren und Thüringer Landwehr die Truppen Napoleons aus dem vor den Toren Leipzigs gelegenen Dorf Möckern vertrieben. Es waren harte, verlustreiche Kämpfe. Sie waren eine Vorentscheidung für den Sieg der Alliierten am 18. Oktober.

Unter den 35000 Einwohnern Leipzigs herrscht Angst. Die Kirchen der Stadt sind zu Lazaretten geworden. Verwundete, die in Lazaretten keinen Platz gefunden haben, liegen auf den Straßen. Neben ihnen Sterbende und Tote. Kärrner ziehen die Leichen bergeweise aus der Stadt.

Geburtsstunde des modernen Europas

Es ist der zweite Tag jener Schlacht, die als Völkerschlacht in die Geschichte einging. Doch "nicht die Völker kämpften hier gegeneinander. Dies war ein Krieg skrupelloser Herrscher um Macht und Land. Einig waren sie sich nur darin, dass keines der Ideale Wirklichkeit werden durfte, für die ihre Bürger kämpften und starben". Diese Worte stellt Sabine Ebert ihrem Buch "1813 - Kriegsfeuer" voran. Sie bleibt in ihrem spannenden wie lehrreichen historischen Roman hart an den Tatsachen, sehr genau an den Ereignissen jener Tage in den Befreiungskriegen.

So nennt man die letzte Phase der Napoleonischen Kriege von 1813 bis 1815. Und die Tage vom 16. bis 19. Oktober 1813 waren die Tage der Völkerschlacht. In dem großen Gemetzel stehen 500000 Soldaten auf den Schlachtfeldern. 90000 von ihnen sterben. Städte und Dörfer sind geplündert, es herrschen Hunger und Not. Der Tod geht um.

"Ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Menschen." Dieser Satz Napoleons ist aus einer Unterredung mit dem österreichischen Außenminister Graf von Metternich am 26. Juni 1813 im Palais Marcolini in Dresden überliefert.

Napoleons Truppen werden bei Leipzig geschlagen, wie schon 1812 in Russland und schließlich in seiner letzten Schlacht 1815 in Waterloo (Belgien). In der Folge legt der Wiener Kongress vom 18. September 1814 bis 9. Juni 1815 in Europa zahlreiche Grenzen neu fest und definiert neue Staaten. Und in Deutschland deutet sich jedes politische System das blutige Ereignis von Leipzig zurecht.

Vorpostengefechte bei Dannigkow und Vehlitz

Doch zurück in das Jahr 1813. Als erstes siegreiches Gefecht der Verbündeten gegen Napoleons Truppen gilt das sogenannte "Gefecht bei Möckern" am 5. April 1813. Dabei handelte es sich um drei Vorpostengefechte bei Dannigkow, Vehlitz und Zeddenick: Die Truppen unter General Ludwig Adolf Peter zu Sayn-Wittgenstein bezwangen die zahlenmäßig überlegenen französischen Verbände, die von Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais geführt wurden.

Es heißt, dieser Sieg habe die Moral der alliierten Truppen gestärkt, die ein halbes Jahr später Napoleon in die Knie zwingen sollten. Aber was war das für ein Sieg?

"Unser Weg führte uns über Gautsch nach der Brücke von Connewitz, wo wir die ersten Scenen des Schlachtfeldes trafen. Hier am linken Ufer der Pleiße kämpften die Österreicher vom Meerveltschen Corps gegen die Franzosen. Viele Tote lagen noch auf den Waldwiesen längs dem Fluss zerstreut. In dem Dorfe Connewitz ... sah man allenthalben Zerstörung", schreibt der Verlegersohn Carl Bertuch am 20. Oktober 1813. "Diese Scenen häuften sich bis zur Stadt ... Auf dem Peters-Steinwege lagen allenthalben tode Menschen und Pferde ... Schwer Verwundete suchten sich, auf Händen und Füßen kriechend, hart an die Häuser angeschmiegt ... zu sichern." Das ist nachzulesen in "Wanderungen nach dem Schlachtfelde von Leipzig im Oktober 1813", einem der ersten Augenzeugenberichte vom Schrecken in Leipzig.

Schon während der Völkerschlacht deuten patriotische Stimmen die Ereignisse als nationale Emanzipation der Völker. Das sei allerdings nicht das Ziel der beteiligten Herrscher gewesen, zitiert die Nachrichtenagentur dpa den Leipziger Historiker Frank Britsche. "In der Völkerschlacht war das Kriegsziel, die legitime Ordnung Europas herzustellen. Sie war im Grunde genommen ein Kabinetts- und Koalitionskrieg der verbündeten Fürsten, die ihre Macht restaurieren wollten, und weniger ein Kampf der eigentlichen Völker Europas", sagt er.

Extrem national besoffen

Nachträglich stilisiert die völkisch-nationalistische Deutung die Völkerschlacht zum deutschen Gründungsmythos. Mitte des 19.Jahrhunderts werden die deutsch-nationalen Töne lauter. Am düsteren Völkerschlachtdenkmal lässt sich gut nachvollziehen, wie man 100 Jahre später der Ereignisse gedachte: "Man wollte den einigenden Kitt der Befreiungskriege ausgießen", sagt Denkmal-Leiter Steffen Poser gegenüber dpa. 1913 sei das ein sehr deutscher Ort gewesen. Das Denkmal sollte in einer Zeit, die "extrem national besoffen" war, auf das Gemüt der Besucher einwirken, sagt Poser.

Zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht betonen die Organisatoren der Gedenkfeiern dagegen die europäische Dimension der Schlacht und setzen auf Versöhnung. "Hier geht es um Aufklärungsarbeit, hier geht es um ein neues Verständnis für Vergangenheit. Wir müssen eine Brücke bauen, aus dem Wissen der Vergangenheit heraus, in eine bessere, zumindest friedvolle und nicht mehr kriegerische Zukunft der Menschen in Europa", sagt Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig und Organisator der Feierlichkeiten.

"Hier geht es nicht um Revanchismus, hier geht es nicht um die Nationenwerdung der Deutschen, nicht um die Abstreifung der Repression unter Napoleon", sagt Rodekamp.