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Stadtratsvorsitzender und Taekwondo-Verein kosten Wolmirstedt vermutlich viel Geld Affäre Jahnhalle: Es riecht nach Betrug

Die Jahnhalle ist saniert, aber Hunderttausende Euro sind weg. Der Stadt
Wolmirstedt droht ein Schaden in Höhe von einer Million Euro. Trotzdem
stützt die CDU weiter den mutmaßlich Verantwortlichen Gerald Zimmermann.

24.10.2013, 01:15

Wolmirstedt l Nein, von der alten Ruine ist nichts mehr übrig. Die moderne Fassade der Jahnhalle wirkt einladend, die Ausstattung innen kann sich sehen lassen. Man könnte meinen, die Sportanlage ist ein Vorzeigeprojekt kommunaler Sanierung.

Dass dieser Schein trügt, mussten die Wolmirstedter in den vergangenen Monaten erfahren. Was einst als Vorhaben mit Zukunft gefeiert wurde, ist heute ein einziger Streitfall. 1,3 Millionen Euro hat die Instandsetzung gekostet. Dank des großen Förderanteils von mehr als einer Million Euro musste die Stadt nur 150.000 Euro beisteuern. Doch die Quittung dürfte nun deutlich höher ausfallen. Einen Großteil der Fördermittel muss die Verwaltung wohl zurückzahlen.

Staatsanwaltschaft und Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung richten ihre Ermittlungen dabei vor allem auf eine Person: Gerald Zimmermann (CDU). Der Vorsitzende des Stadtrates und des Taekwondovereins "Wolves" galt einst als Heilsbringer. Er beseitigte das "Problem Jahnhalle". Als Mitarbeiter des Landesverwaltungsamtes wusste er, wie man an Fördermittel kommt. Eine Aussicht, die auf die Kommunalpolitiker im Stadtrat wie ein Lockruf wirkte. "Der Zimmermann ist einer von uns, dem kann man vertrauen", haben sie damals in Wolmirstedt gesagt. Inzwischen klagt die Stadt gegen Zimmermann.

Taekwondo-Verein tilgt Kredit nicht

Das ausgeklügelte System schien im Juli 2007 eigentlich erfolgversprechend: Auf der einen Seite die Stadt, als Fördermittelempfänger. Auf der anderen Seite der Sportverein, als Bauherr. Alles wird vertraglich geregelt, die Jahnhalle für einen Euro an den Taekwondo-Verein mit Erbbaurecht überschrieben. Doch schon im Sommer 2008 hakt es. Eine Firma will die Baustelle stilllegen, weil der Sportverein Rechnungen nicht beglichen hatte. Um den finanziellen Engpass zu überbrücken, nimmt der Taekwondo-Verein einen Kredit über 530.000 Euro auf. Die Stadt bürgt dafür - der Bau sollte schnell vorangehen.

Die Vorgehensweise wurde klar geregelt: Der Taekwondo-Verein bezahlt mit dem Kredit die Baufirma, die Rechnungskopien gehen an die Stadt. Diese reicht die Belege beim Landesverwaltungsamt ein und kassiert die Fördermittel, um sie an den Verein zu geben. Damit sollte er den Kredit tilgen.

Die Stadt überweist Zimmermann in den nächsten Monaten vier Raten. Rund 296.000 Euro wandern so auf das Konto des Taekwondo-Vereins. Als der Fälligkeitstermin für den Kredit im Herbst 2010 näherrückt, platzt in Wolmirstedt förmlich eine Bombe: Die Stadt erfährt, dass der Sportverein bisher nur 4500 Euro getilgt hat. Was mit den Fördermitteln passiert ist? Bislang nicht bekannt. Stadträtin Gisela Gerling-Köhler (FDP) sagt: "Der hat sich das Geld in die eigene Tasche gesteckt."

Erfolglose Zwangsvollstreckung

Die Volksbank verklagt den Taekwondo-Verein, eine Zwangsvollstreckung bringt jedoch nicht die volle Summe ein. Also wird die Stadt als Bürge herangezogen und muss die Restsumme zahlen: 340.000 Euro. "Wir haben Zimmermann vertraut. Der Kredit sollte nur zur Überbrückung dienen", sagt Klaus Mewes von der UWG-Fraktion heute.

Das Geld will die Stadt nun von Zimmermann zurück, aktuell ist ein Verfahren am Landgericht Magdeburg anhängig. "Wir wollen unsere Forderungen durchsetzen", sagt Bürgermeister Martin Stichnoth (CDU) offiziell. Doch insgeheim scheint er davon auszugehen, dass beim Taekwondo-Verein nicht mehr viel zu holen sein wird - das lässt die erfolglose Zwangsvollstreckung aus dem Volksbank-Verfahren vermuten. Stichnoth strebt einen Vergleich an. "Um so noch das Beste für die Stadt rauszuholen", sagt er.

Stadträte wie Klaus Mewes macht das wütend. "Dem werde ich nicht zustimmen. Die Stadt hat ein Recht auf die volle Summe! Zimmermann hat sich nicht an den Kreditvertrag gehalten", sagt Mewes, der die CDU-Fraktion im Streit um Zimmermann verlassen hat. Stattdessen fordert er, dass die Verwaltung weitere Schadensersatzansprüche (Zinsen und Anwaltskosten) in Höhe von 77.000 Euro geltend macht. Zimmermann soll insgesamt mehr als 417.000 Euro zurückzahlen.

Wolmirstedt im Visier der EU-Antikorruptionsbehörde

Die Forderungen der Stadt sind jedoch nur die eine Seite. Seit ein paar Wochen ermitteln Staatsanwaltschaft und eine EU-Antikorruptionsbehörde auch persönlich gegen Gerald Zimmermann und den Taekwondo-Verein. Warum sich die Brüsseler Ermittler eingeschaltet haben, ist noch unklar. Die Behörde schweigt dazu.

Am Ende könnte sehr wahrscheinlich die Rückerstattung der EU-Fördermittel (570.000 Euro) stehen. Mit dem Kredit und den Anwaltskosten läge der Gesamtschaden für die Stadt damit bereits im Millionenbereich. Denn die Forderungen werden sich nicht gegen Zimmermann richten,sondern gegen die Stadt. Sie war Fördermittelerstempfänger und hat die Gelder nur weitergereicht.

Leidtragende wären die vielen Vereine in Wolmirstedt, für die im Rahmen der freiwilligen Aufgaben nächstes Jahr weniger Geld zur Verfügung stehen würde.

Fehler bei der Kommunalaufsicht

Spätestens seit August 2010 waren der Kommunalaufsicht des Bördekreises und dem Landesverwaltungsamt bekannt, dass der Taekwondo-Verein bei der Sanierung eine Reihe von Vorschriften missachtet hat - obwohl diese beim Einsatz von Fördermitteln bindend sind.

Ein der Volksstimme vorliegender Bericht des Kommunalprüfungsamtes weist nicht nur auf Fehler im Vergabeverfahren hin (keine Vergleichsangebote eingeholt). Sondern auch auf unvollständige Unterlagen und fehlende Rechnungen. Für mehr als 112.000 Euro gibt es keine Belege. Dazu genehmigte das Landesverwaltungsamt Bargeldabrechnungen in Höhe von 25.000 Euro. Der Bördekreis ließ eine Anfrage, warum diese Praxis nicht unterbunden wurde, unbeantwortet.

Hauptnutzer der Halle sind heute der Taekwondo-Verein und Zimmermanns Sohn Sascha. Er ist Geschäftsführer eines Fitnessstudios und Gesundheitszentrums. In Wolmirstedt hält sich das Gerücht, dass das Studio im Jahr 2010 vor dem Aus stand - das Jahr, "in dem große Teile des Kredits verschwunden sind", wie ein Insider sagt. Sascha Zimmermann bestreitet, dass es finanzielle Probleme gegeben hat.

Zimmermann noch immer im Stadtratsvorsitzender

Das Rätselraten in Wolmirstedt ist groß, wie so viel Geld verschwinden konnte. Gisela Gerling-Köhler fordert seit Monaten den Rücktritt des Stadtratsvorsitzenden. Der CDU-Politiker lehnt das ab. Im Februar wäre ein Abwahlantrag fast erfolgreich gewesen. Eine Stimme fehlte. Zimmermann genießt Rückhalt in seiner CDU-Fraktion. Die persönlichen Verbindungen in Wolmirstedt sind eng.

CDU-Fraktionsvorsitzender Uwe Claus war bis vor kurzem Schuldirektor. Zimmermann, im Landesverwaltungsamt im Bereich Bildung tätig, war einer seiner Vorgesetzten. Claus gilt als Mann mit Einfluss, Mitläufer in der Fraktion, wie beispielsweise eine Lehrerin seiner Schule, folgen ihm. CDU-Fraktionsmitglied Wolfgang Müller, ein Malermeister, erhält regelmäßig Aufträge von der Stadt. CDU-Bürgermeister Stichnoth gehörte vor seiner Wahl ebenso der Fraktion an.

Sogar CDU-Landesvorsitzender und Verkehrsminister Thomas Webel hat vor dem Abwahlantrag darauf gedrungen, dass die Fraktion zusammenhält und Zimmermann als Stadtratsvorsitzenden stützt. Webel sagt: "Ich wurde von Wolmirstedtern um Hilfe gebeten. Ich habe als Freund dieser Stadt Gespräche geführt, nicht als CDU-Landesvorsitzender. Das war keine Beeinflussung."

Zimmermann zieht weiter Strippen

Zimmermann und Webel sind seit Jahren miteinander befreundet. Als Webel zu seinen Wolmirstedter Landratszeiten im Jahr 2001 wegen Beihilfe zum Betrug zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde, war Zimmermann einer der CDU-Politiker, die sich öffentlich klar für ihn positioniert hatten.

Gisela Gerling-Köhler findet die CDU-Verbindungen "fürchterlich". "Der Rechtsstaat darf doch nicht parteipolitischen Erwägungen geopfert werden! Wenn das so weitergeht, reichen wir bald auch noch unsere Steuererklärung nach Parteibuch ein!" Spätestens mit dem Ergebnis der EU-Untersuchungen wollen FDP, Linke und UWG einen neuen Abwahlantrag einreichen.

Bis dahin wird Gerald Zimmermann im Stadtrat weiter die Strippen ziehen können. Zwar verlässt er den Sitzungssaal, wenn es um die Jahnhalle geht. Doch wenn er Einfluss nehmen kann, tut er das. Anfang des Jahres hat Zimmermann dabei gegen die Gemeindeordnung verstoßen. Im Dezember hatte der Stadtrat im nichtöffentlichen Teil beschlossen, den Taekwondo-Verein "Wolves" zu verklagen. Das hätte Zimmermann in der nächsten Sitzung im Januar bekanntgeben müssen. Er hat es unter den Tisch fallen lassen. Erst nachdem einige Stadträte die Kommunalaufsicht bemühten, musste er die Verkündung im Februar nachholen.

Ob die Klage der Stadt gegen die "Wolves" erfolgreich sein wird, ist offen. Bereits am 3. Juli 2012 hat Gerald Zimmermann nach Volksstimme-Informationen im Vereinsregister einen neuen Verein eintragen lassen: die "Wolmirstedter Wölfe". So kann er auch bei einer möglichen Insolvenz der "Wolves" die Taekwondo-Arbeit aufrecht erhalten. Die Fragen, zu welchem Zweck der neue Verein gegründet wurde und wie er finanziell ausgestattet ist, konnte die Volksstimme Gerald Zimmermann nicht stellen. Am Montag ließ er kurzfristig ein vereinbartes Gespräch platzen.