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Mann zündet sich vor dem Haus der Ex-Freundin an / Polizei ermittelt gegen den Gewalttäter Stalking: Wie eine Frau verfolgt und bedroht wird

05.12.2013, 02:04

Magdeburg l Seit sich Stefanie Gründer von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, lebt sie in Angst. Nach mehreren Prügelattacken zündete sich ihr Ex-Freund im Auto vor dem eigenen Haus an. Wochen lag er im Koma, nun hat er das Krankenhaus verlassen.

Stefanie Gründer* weiß noch genau, was sie an René Schulze* so mochte. Sie sitzt in ihrer Küche in einem kleinen Ort bei Magdeburg, hält ein mehrere Jahre altes Bild ihres Ex-Freundes in der Hand. "Er war so unternehmungslustig", sagt sie. Das Foto zeigt Schulze mit dem gemeinsamen Hund auf einer Wiese. Ein idyllisches Bild. "Ja, das war einmal", sagt sie. Denn Erinnerungen an diese Zeit verblassen zunehmend.

Die Situation zu Jahresbeginn: Er arbeitet in einem Baubetrieb, sie bei einer großen Bank in Magdeburg. Ihre zwei Mädchen gehen zur Schule, der Junge macht eine Ausbildung. Die drei Kinder sind aus einer früheren Beziehung. Die Familie wohnt in einem Haus, das ihr gehört. Der Tag ist durchstrukturiert, birgt wenig Überraschungen. Der Beziehungsmotor stotterte schon länger.

Stefanie Gründer fasst den Entschluss, sich von ihrem Freund zu trennen. "Es funktionierte nicht mehr gut", sagt sie. Anfang dieses Jahres äußert sie zum ersten Mal Trennungsabsichten. Nach einer Familienfeier im März eskaliert die Situation. Schulze würgt seine Freundin während der Fahrt im Auto. Anschließend weist sie ihn aus dem Haus. Schulze zieht aber nicht sofort aus.

Im Juni folgt die nächste Eskalation. Schulze verprügelt Gründer unter Alkoholeinfluss, droht, "ihr den Schädel einzuschlagen". Die Polizei stellt bei ihm an diesem Abend einen Atemalkoholwert von mehr als zwei Promille fest. Er wird mit in die Ausnüchterungszelle nach Magdeburg genommen. Gegen sechs Uhr morgens kann er diese laut Polizei verlassen.

Schulze läuft zu Fuß zurück zu seiner Ex-Freundin in den etwa 40 Kilometer entfernten Ort bei Magdeburg. Er hat keinen Hausschlüssel mehr. Trotzdem dringt er - offenbar über den Keller - in das Haus ein. Als sie mit ihren beiden Töchtern nach Hause kommt, sitzt er in der Küche. Anschließend wird Schulze endgültig des Hauses verwiesen. "Mein Sohn konnte ihn zum Glück rauswerfen", sagt sie.

"Jeden Tag hast du Angst, dass er wiederkommt." - Stefanie Gründer

Stefanie Gründer wird krankgeschrieben. Sie hat Würgemale am Hals und ein blaues Auge. Sie nimmt sich einen Anwalt, geht zum Psychologen. Zivilrechtliche Schritte - wie etwa eine Verfügung, dass sich René Schulze ihr nicht mehr nähern darf - erwägt sie bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. "Ich dachte, dass es reicht, ihn bei der Polizei anzuzeigen", sagt sie. Eine Fehleinschätzung, die der Weiße Ring häufig bei Opfern beobachtet. Ein Polizeisprecher bestätigt, dass von Stefanie Gründer mehrere Anzeigen wegen häuslicher Gewalt vorliegen.

"Jeden Tag hast du Angst, dass er wiederkommt", sagt sie. Er kündigt sich an. Darum fragt Gründer einen Arbeitskollegen, ob er zu ihr kommt, um aufzupassen. Das Einsatzprotokoll der Polizei klingt dramatisch. Das Gutachten (liegt der Volksstimme vor) eines unabhängigen Prüfers dokumentiert die zerstörerische Kraft der folgenden Stunden.

Was war passiert? Zwei Tage nach der Prügelattacke im Juni taucht René Schulze auf. Er schraubt das mit einem Vorhängeschloss gesicherte Hoftor auf, fährt mit dem Auto auf das Gelände. Als sich der Arbeitskollege von Stefanie Gründer ihm in den Weg stellt, verschwindet Schulze wieder. Nach etwa 20 Minuten kommt er zurück. Er fährt mit dem Auto auf die Hofeinfahrt zu, in der der Arbeitskollege steht. Der muss zur Seite springen, sonst wäre er überfahren worden.

René Schulze kommt an der Hauswand zum Stehen. Sofort steigt Rauch aus dem Auto auf. Der Wagen brennt im Inneren. Schulze hat sich vermutlich mit Benzin übergossen und angezündet. Er erleidet schwere Verbrennungen. Auto, Hauswand, Carport und Garage werden schwer beschädigt. Es ist dann der Arbeitskollege, der Stefanie Gründers Ex-Freund aus dem brennenden Auto zieht und ihm damit das Leben rettet.

Als die Polizei am Unfallort eintrifft, ist René Schulze verschwunden. In all dem Rauch, der Panik und den Löschversuchen kann er trotz schwerster Verbrennungen davonlaufen. Es kommt zu einem Großeinsatz der Polizei. Hubschrauber kreisen über dem kleinen Dorf. In diesen Tagen in Sachsen-Anhalt nichts Besonderes - die Region wird gerade von einer der schlimmsten Flutkatastrophen der letzten Jahrzehnte heimgesucht. Schließlich wird Schulze Stunden später in einem nahen Feld gefunden. Ein Rettungshubschrauber bringt ihn in eine Brandklinik. "Das ist das Letzte, was ich von ihm erfahren habe", sagt Stefanie Gründer.

Monate der Ungewissheit ziehen ins Land. "Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt", sagt sie. Da René Schulze und Stefanie Gründer nicht verheiratet sind, bekommt sie weder Auskunft von der Staatsanwaltschaft noch von der Klinik. Einen Schutz davor, dass er zurückkommt, gibt es für sie nicht.

Nach Informationen der Volksstimme liegen die vorläufigen Ermittlungsergebnisse in diesem Fall seit Mitte November bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg auf dem Tisch. Der Anwalt von Stefanie Gründer, Thomas Klaus aus Magdeburg, hat von Zeugen erfahren, dass René Schulze mittlerweile die Brandklinik verlassen hat und derzeit eine Reha-Maßnahme durchlaufe. Klaus fordert die Unterbringung von Schulze nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) in einer Klinik. Dieses Gesetz ermöglicht es Behörden, eine Person gegen ihren Willen in einem Krankenhaus festzuhalten. Nachfragen der Volksstimme bei der Staatsanwaltschaft ergeben seit mehreren Wochen nichts Neues. Es gebe keinen neuen Sachstand. Man könne aber davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft wisse, wo Schulze sich aufhalte. Derzeit werde geprüft, ob er Angaben zur Sache machen könne und wolle. Es könne sein, dass er die Aussage verweigert, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Frank Baumgarten.

Unterdessen kämpft Stefanie Gründer mit den psychischen Folgen jener Juni-Tage. Auch ihre beiden Töchter werden psychologisch betreut. Hinzu kommen finanzielle Belastungen - für die dreifache Mutter ist nicht mal geklärt, wer die Tausenden Euro Schaden an Haus und Grundstück übernimmt. Denn für die Versicherung ist nicht klar, wer für den Schaden verantwortlich ist.

Dass René Schulze zurückkommen wird, weiß Stefanie Gründer seit Anfang dieser Woche. Denn sie hat Post von ihrem Ex-Freund bekommen. Es tue ihm leid. Er werde sich wieder melden.

*Namen geändert