1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Der Herr der Glocken

Christoph Schulz prüft das Kirchengeläut in Sachsen-Anhalt auf Herz und Nieren Der Herr der Glocken

Von Madlen Schäfer 07.12.2013, 01:06

Magdeburg/Halle (dpa) l Gute Ohren und ein klarer Verstand - das sind für Christoph Schulz die Voraussetzungen für seinen Job als Glockensachverständiger. Der Experte ist für rund 5500 Glocken in 2700 Kirchen zuständig.

Christoph Schulz ist praktisch immer auf Achse. Etwa 1000 Kilometer legt er in der Woche zurück. Sein Beruf ist es, Gemeinden zu helfen, in denen mit den Kirchenglocken etwas nicht stimmt. Schulz ist Glockensachverständiger der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM). Für ungefähr 5500 Glocken in 2700 Kirchen ist er in seinem Wirkungskreis zuständig. "Selbst gesehen habe ich davon bisher nach Bauchschätzung 2500 Glocken", sagt Schulz.

Zu seinem Job ist Schulz zufällig gekommen. "Ich wusste früher auch nicht, dass es so etwas gibt." Der 1963 geborene Experte wuchs in Halle auf, arbeitete als Buchhändler und studierte nebenbei Theologie und Kirchenmusik. Doch er wollte etwas Praktisches machen und begann 1989 eine Ausbildung zum Orgelbauer. Als ein Glockensachverständiger starb, wurde Schulz 1990 gefragt, ob er diese Aufgabe übernimmt.

"Eisenglocken sprengt der Rost innerhalb von 100 Jahren."

Was genau macht ein solcher Sachverständiger? "Ein Glockensachverständiger braucht gute Ohren und einen klaren Verstand", sagt Schulz. Wenn Kirchengemeinden über Probleme mit ihrer Glocke klagen, schaut er sich die Mängel an und berät, was zu tun ist, ob eine Reparatur fällig ist oder vielleicht sogar eine neue Glocke angeschafft werden muss. Dabei spielen auch Sicherheitsbestimmungen eine wichtige Rolle.

"Da viele Glocken aus dem 20. Jahrhundert aus Eisen gefertigt wurden, sprengt der Rost diese innerhalb von circa 100 Jahren", sagt Schulz. Wenn eine Firma die Glocke repariert oder neu gegossen hat, ist der Sachverständige für die Abnahme zuständig. Geprüft werden etwa die Dicke, das Gewicht und fünf bis acht Töne. "Eine Glocke besteht aus verschiedenen Tönen und deren Gesamtzahl macht den Klang aus", erläutert Schulz.

Natürlich hat Schulz auch Lieblingsglocken. "Eine Glocke muss mich rühren. Glockentöne sind Emotionen, denn dabei kommt etwas rüber." Neben der "Königin der Glocken", der Gloriosa im Erfurter Dom, mag er besonders die Clinsa im Merseburger Dom von 1180 oder die Osanna im Halberstädter Dom. Bis Anfang der 1990er Jahre haben Glockensachverständige ihre Nachfolger selbst ausgebildet. Mittlerweile gibt es in Halle an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik sowie in Regensburg die Möglichkeit einer Ausbildung.

"Eisenglocken sprengt der Rost innerhalb von 100 Jahren."

"Es ist ein eher seltener Job, aber die Kirche ist auf Nachwuchs angewiesen", sagt Kurt Kramer vom Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen, der die Richtlinien für die Ausbildung erstellt. Ein Weiterbildungskurs dauert drei Jahre. Pro Kurs gibt es 25 bis 30 Teilnehmer, von denen am Ende jedoch nur etwa drei bis fünf eine Prüfung ablegen. "Die Kirchen bedienen sich heute verstärkt der Kompetenz unserer neuen Sachverständigen, bei denen mittlerweile auch Frauen sehr erfolgreich vertreten sind", sagt Kramer. Schulz liebt seinen Beruf: "Es ist mein Traumjob", sagt er. Am meisten macht ihm die Beratung bei der Gestaltung neuer Glocken Spaß. "Es muss überlegt werden, was den Nachkommen über Inschrift, Zeichen und Figuren auf der Glocke mitgeteilt werden soll", erläutert Schulz.

Denn schließlich hat eine neugegossene Glocke normalerweise eine Lebenszeit von einigen hundert Jahren vor sich.