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Der Weg zur deutschen Einheit krönt die Entspannungspolitik des SPD-Vordenkers 100. Geburtstag: Brandts Heimspiel in Magdeburg

Willy Brandt, am 18. Dezember vor 100 Jahren geboren, hat die Bundesrepublik geprägt wie kaum ein anderer Politiker. Die deutsche Einheit war ihm Herzenssache. Bahnbrechend war sein Besuch in Erfurt 1970. Im stürmischen Wendeherbst 1989 wurde er in Magdeburg gefeiert.

Von Steffen Honig 17.12.2013, 02:16

Magdeburg. Dass sich die SPD auf ihrem Berliner Parteitag im Dezember 1989 ein neues Grundsatzprogramm gab, ist heute fast vergessen. Kein Wunder: Nichts war in diesen Wochen in der deutschen Politik so wichtig wie der rasante Umbruch in der DDR. Willy Brandt hatte schon unmittelbar nach dem Mauerfall am 10. November den Ausspruch geprägt: "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört." Dieser Satz prangte auch als Motto über dem Parteitagspodium der Sozialdemokraten. Um ihn mit Leben zu erfüllen, hielt es Brandt nicht bei der Programmdiskussion in Berlin: Auf Einladung der neugegründeten Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) schob er am 19. Dezember einen Blitzbesuch in Magdeburg mit Kundgebung auf dem Domplatz und Rathaus-Besuch ein.

An jenem denkwürdigen Dezember-Dienstag erlebte ein Stück elbaufwärts ein anderer westdeutscher Politiker die Wucht der Wende: Bundeskanzler Helmut Kohl hatte sich in Dresden mit DDR-Ministerpräsident Hans Modrow getroffen und war anschließend von den Sachsen wie ein Messias gefeiert worden. Der Christdemokrat Kohl bekannte später, dass Dresden für ihn das Schlüsselerlebnis für den Weg zur deutschen Einheit war.

In Magdeburg sah sich der Sozialdemokrat Brandt in seiner Überzeugung bestätigt, dass der Zug in Richtung Einheit rollte. Die Grenzen der DDR waren offen, die Allmacht der SED gebrochen, der Runde Tisch tagte und die Übergangsregierung Modrow versuchte verzweifelt, das Land zu stabilisieren. Zehntausende Magdeburger waren gekommen, um Willy Brandt in ihrer Stadt, einer alten Hochburg der deutschen Sozialdemokratie, einen überwältigenden Empfang zu bereiten. Im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", mit einem Reporter vor Ort vertreten, las sich das später so: "Der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt wurde am vergangenen Dienstag auf dem Domplatz in Magdeburg gefeiert wie ein Revolutionsheld. Blumensträuße flogen, Fahnen wurden geschwenkt, die Magdeburger riefen ,Willy, Willy\' noch lauter als die Dresdner am selben Tag ,Helmut, Helmut\'. Brandt ist der neue Superstar auf beiden Seiten der bröckelnden Mauer. ,Willy, sag, wo\'s langgeht!\', forderten die Magdeburger."

Deren Errichtung hatte Willy Brandt als Regierender Bürgermeister von (West-)Berlin am 13. August 1961 ohnmächtig zusehen müssen. Die westlichen Besatzungsmächte rührten keinen Finger zur Beseitigung der Sperranlage. Zu groß war die Gefahr einer militärischen Konfrontation mit der Sowjetunion. Diese wollten die Alliierten nicht riskieren. Westberlin blieb 28 Jahre lang eingemauert.

Doch Brandt erkannte bald, sekundiert von seinem Mitarbeiter Egon Bahr, dass es klüger war, den Eisernen Vorhang durchlässiger zu machen, statt ihn gewaltsam beseitigen zu wollen. Bahr entwarf bereits 1963 die Entspannungspolitik, die Willy Brandt von 1969 an als Bundeskanzler praktizierte. Das Motto "Wandel durch Annäherung" führte schließlich 1972 auch zum Grundlagenvertrag mit der DDR.

Dem waren zwei Treffen mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph vorausgegangen. Für Furore sorgte dabei die erste Begegnung der Regierungschefs im März 1970 in Erfurt. Vor dem Hotel "Erfurter Hof", in dem die bundesdeutsche Delegation logierte, riefen Tausende: "Willy Brandt ans Fenster!" Der Bundeskanzler zeigte sich kurz - und beschrieb diesen Moment später als den emotionsgeladensten seines Lebens.

In Magdeburg 1989 war die Einheit, auf die Brandt stets hingearbeitet hatte, schon in Sichtweite gerückt. Seine Mahnung auf dem Domplatz hieß: "Füreinander einstehen ist jetzt der Deutschen erste Bürgerpflicht."