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Edgar Kresin sucht nach billigem Geld und sorgt dafür, dass das Land flüssig bleibt Sachsen-Anhalt: Der Schuldenmeister

Auf Sachsen-Anhalt lastet ein gigantischer Schuldenberg. Damit die
Zinszahlungen möglichst erträglich bleiben, ist Edgar Kresin immer auf
der Suche nach billigem Geld. Er ist der Schuldenmanager des Landes.

Von Jens Schmidt 28.12.2013, 02:04

Magdeburg l Edgar Kresin lächelt meist, wenn er erzählt. Obwohl sein Metier im Finanzministerium nicht spaßig ist. Kresin verwaltet nämlich Sachsen-Anhalts Schulden. Sechs Regierungen haben diese seit 1990 zu einem traurig stimmenden Berg aufgehäuft. Es waren 20.650.000.000 Euro im Jahr 2011, fast 20,7 Milliarden. Kresin ist 42 und hat schon graue Haare. Das passt nun wieder.

Obwohl: Im vorigen und in diesem Jahr hat das Land keine neuen Kredite draufgepackt. Also: Beine hoch? Keineswegs. Kresin und seine neun Kollegen im Referat sind ständig in Aktion. Kredite mit niedrigen Zinsen aufnehmen, um ältere Darlehen mit höheren Zinsen abzulösen. Ältere Anleihen hatten 3,5 bis 4 Prozent, jetzt gibt es Geld schon für etwa 2,5 Prozent. Klingt wenig, bringt aber viel in einer Welt, wo es um Millionen und Milliarden geht. Ein Prozent-Punkt Unterschied sind bei 20 Milliarden Gesamtschuld stolze 200 Millionen Euro. Damit kann das Land ein Jahr lang alle Kindergärten finanzieren oder 25 Kilometer Autobahn bauen. In diesem Jahr hat Kresin gut zwei Milliarden Euro umgeschuldet.

Anleihen-Mix von einem Monat bis zu 30 Jahren

2008 zahlte Sachsen-Anhalt 975 Millionen Euro Zinsen. Dieses Jahr sind es trotz weiter gewachsenen Schuldenbergs fast 350 Millionen Euro weniger - der Europäischen Zentralbank sei Dank. Die Zinsen sind derzeit im tiefsten Keller. Jedem Häuslebauer wird geraten, jetzt Kredite mit ewig langen Laufzeiten zu wählen und sich beruhigt zurückzulehnen. Also doch Lenz in der Behördenstube?

Kresin schüttelt den Kopf. "Historisch niedrige Zinsen? Das wurde vor drei Jahren auch schon gesagt. Nun sind sie noch niedriger." Hätte er damals alles auf eine Karte gesetzt, hätte das Land Hunderte Millionen Euro verschenkt.

"Die Chance, dass niedrige Zinsen noch weiter fallen, ist nicht gleich null." Anders gesagt: Nur auf zehnjährige Anleihen zu setzen, wäre Zockerei. Der Anleihen-Mix reicht daher von einem Monat bis zu 30 Jahren. Auf die ausgewogene Mischung kommt es an. Auf Erfahrung auch. Edgar Kresin ist seit 15 Jahren in diesem Geschäft. Er hat in einer Bank gelernt und in Köln Volkswirtschaft studiert. 1998 bewarb sich der Nordrhein-Westfale auf eine Anzeige und wurde von Sachsen-Anhalts Finanzministerium eingestellt. In die Vermögensabteilung, Referat Geld- und Kapitalmarktgeschäfte. 2003 bekam er die Leitung.

Das Land borgt sich die Gelder bei Investmentbanken: Goldman Sachs, Bank of America, Barclay, UBS, Deutsche Bank, Commerzbank ... Die Banker wiederum rufen Geldgeber, etwa Versicherungen, an und machen denen eine Anlage schmackhaft. Ein Broker aus London speist permanent die aktuellen Zinssätze ein. Zwei Mitarbeiterinnen in Kresins Mannschaft beobachten an Bildschirmen die Zahlenkolonnen und Kurven. Und schlagen im günstigen Moment zu. Je besser der Schuldner, desto geringer der Zins. "Wir gehören zu den besten in Europa", sagt Kresin. Auf den Zinssatz, den der Broker aus London liefert, muss das Land nur etwa fünf Basispunkte draufschlagen (das sind 5 Hundertstel). Die Bayern sind noch besser. Die müssen gar nichts draufschlagen. Nordrhein-Westfalen muss etwa zehn Punkte zugeben, um ans Geld zu kommen.

Kresins Referat ist alles andere als eine betuliche Behördenstube; nirgendwo sonst sitzen Beamte näher dran am heißen Markt als hier. Planlos geht es dennoch nicht zu. Den großen Finanzrahmen gibt der Etat vor, den die Landtagsabgeordneten beschließen. Da steht auch drin, wie viel Kredit Kresin aufnehmen darf und was zu tilgen ist.

Mindestens 70 Jahre, bis der Schuldenberg weg ist

Tilgen - das ist noch ein recht neues Geschäft für die öffentliche Hand, die bisher immer nur Schulden auftürmte. Bisher wurden gerade mal 50 Milliönchen vom riesigen Schuldenberg abgetragen. Die Finanzplanung sieht vor, dass es mal jährlich 300 Millionen Euro werden. Dennoch würde es gut 70 Jahre dauern, bis die Altlast weg wäre. Kresin hat bis zu seiner Rente also noch genug zu tun.

Auch fürs Alltagsgeschäft wird geplant. Einmal im Monat erstellt Kresins Referat für die Banken ein Wunschblatt mit Geldsummen, Laufzeiten, Zinssätzen. Dann rufen Banker an, nennen einen "scharfen Preis", dann wird verhandelt und bei guten Konditionen der Kredit abgeschlossen.

Kresins Mannschaft besorgt nicht nur Geld fürs Land, sie legt auch Gelder an, die tagtäglich in die Landeskasse hereinkommen. Steuergelder etwa. "Morgens ruft die Kasse an und nennt die Einnahmen. Dann überlegen wir, wo wir es anlegen." Da es um Millionen geht, zählen jeder Tag und jeder Zinspunkt. Selbst wenn es nur darum geht, die Gelder für wenige Stunden zu halten, werden sie möglichst günstig geparkt. Pro Tag gehen zwischen 10 und 600 Millionen Euro über den Tisch. Steuern rein, Gehälter raus, Fördergelder rein,Rechnungen raus. Für Übernachtgeschäfte kommen nur deutsche Banken mit hohen Sicherheitsstandards infrage, sagt er. Für längerfristige Anlagen, wie die Beamten-Pensionen, wandert Geld in Fonds.

Kresins Truppe muss die Kasse im Lot halten. Zur Sicherheit gibt es immer ein Polster - der "Bestand" liegt derzeit bei etwa einer Milliarde Euro. Eine Sicherheitsmarge, die nach der Lehman-Bank-Pleite 2008 geschaffen wurde. "Damals, am 16. September 2008, wollte keine Bank mehr Geld geben", erinnert sich Kresin noch genau. Zum Glück blieb das Land davon verschont. Bisher war Sachsen-Anhalt immer flüssig.