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Achtjähriger Junge aus Sachsen-Anhalt braucht dringend passenden Stammzellenspender Leukämie: Eine Familie wartet auf Pascals Retter

Pascal ist erst seit acht Jahren auf der Welt - und muss schon gegen den
Tod kämpfen. Gewinnen kann der leukämiekranke Junge nur mit einer
Stammzellen-Spende. Doch weltweit wurde noch kein genetischer Zwilling
gefunden. Nun hofft die Naumburger Familie, dass sich rechtzeitig ein
Retter als Spender registrieren lässt.

Von Elisa Sowieja 08.01.2014, 02:13

Naumburg. Vor den Sommerferien war Pascal Münzer noch ein richtiger Wirbelwind. Nach Schulschluss tobte er sich am liebsten auf dem Bolzplatz aus. Heute Nachmittag sitzt er am Küchentisch, zusammengesackt in einem Rollstuhl, und stapelt apathisch Nintento-Spiele. Auf Fragen reagiert er nicht. Seit seiner Leukämie-Diagnose im August ist der Achtjährige nur selten zu Hause. Am Jenaer Uniklinikum muss er immer wieder Chemotherapien über sich ergehen lassen.

Pascal ist einer von deutschlandweit mehr als 11.000 Menschen im Jahr, die an Blutkrebs erkranken und auf eine Stammzellenspende angewiesen sind. In Sachsen-Anhalt waren es zuletzt 340, davon 13 Kinder unter 15 Jahren. Der Großteil der Patienten hat Glück im Unglück: Bei rund einem Drittel stimmen bei einem Verwandten die Gewebemerkmale zu 100 Prozent überein, sodass er als Spender infrage kommt. Für die restlichen zwei Drittel wird in den weltweiten Spender-Datenbanken nach einem genetischen Zwilling gesucht - in etwa 80 Prozent der Fälle mit Erfolg in den ersten Wochen.

Nicht einmal Pascals Zwillingsschwester ist ein passender Spender

Pascal gehört nicht zu den Glückspilzen. Dabei hat er sechs Geschwister, darunter sogar eine Zwillingsschwester. Doch ans Aufgeben denken seine Lieben nicht. In der Grundschule des Drittklässlers stellen Eltern und Lehrer jetzt eine Registrierungsaktion auf die Beine, bei der Freiwilligen eine Blutprobe entnommen wird. Vom Ort über Arzt und Schwestern bis hin zur Verpflegung hat die Truppe schon alles organisiert. Als Partner der Aktion ist auch ein Mitarbeiter von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) dabei - die größte von deutschlandweit 28 solcher Datenbanken. Sie alle registrieren Spender und melden sie ans Zentrale Knochenmarkspenderregister. Aus Sachsen-Anhalt sind bisher insgesamt rund 80.000 Menschen eingetragen.

Dass ausgerechnet bei dieser Aktion ein Spender für Pascal gefunden wird, ist wenig wahrscheinlich. "Das wäre der Knaller", sagt Simon Stifter von der DKMS. Aber darum geht es auch nicht. "Fast jeden Tag begleiten wir irgendwo in Deutschland eine Aktion. Vielleicht wird ja in Naumburg ein Spender für einen Kölner gefunden, und in Kiel einer für Pascal."

Glückliche Zufälle sind allerdings nicht ausgeschlossen. Das zeigen Beispiele am Magdeburger Universitätsklinikum, wo es eine Datei mit 37000 Spendern aus Sachsen-Anhalt gibt. "Vor drei Jahren haben wir für einen Magdeburger Patienten tatsächlich einen Spender aus Magdeburg gefunden", berichtet Transfusionsarzt Dr. Andreas Parkner. "Und vor zehn Jahren konnten Eheleute kurz nacheinander spenden."

Entstanden ist die Magdeburger Datei 1995, als erste in den neuen Ländern. Anlass war die Suche nach einem Lebensretter für den damals elfjährigen Nico Siedeck. Bei der weltweit bisher größten Registrierungsaktion gaben an einem Tag 21.000 Menschen eine Blutprobe ab. Ein Spender für Nico wurde trotzdem nicht gefunden, das Kind verlor den Kampf gegen den Krebs. Doch zumindest konnten bis heute 316 Sachsen-Anhalter aus dieser Datei anderen Leukämiekranken helfen.

Wie sich so etwas anfühlt, weiß Christine Reinboth. Die Arzthelferin aus Kelbra (Mansfeld-Südharz) spendete vor drei Jahren Stammzellen für den damals elfjährigen James aus den USA. "Ich hatte mich bei der DKMS registrieren lassen, weil ein Nachbar und ein Bekannter Blutkrebs hatten", erinnert sie sich. Nach einem halben Jahr bekam sie Post von der Spenderdatei.

Sachsen-Anhalterin hat einem Jungen aus den USA das Leben gerettet

So wie in 80 Prozent der Fälle war eine Operation, bei der Knochenmark aus dem Beckenkamm entnommen wird, nicht nötig. Die Stammzellen konnten aus dem Blut der 34-Jährigen gewonnen werden. "Ich war rund sechs Stunden lang an eine Art Dialysegerät angeschlossen", erzählt sie. Zuvor musste sie sich fünf Tage lang ein Medikament spritzen, das die Produktion der Stammzellen stimuliert. Nebenwirkungen in Form von Grippesymptomen blieben bei ihr aus.

Christine Reinboth weiß gar nicht recht, wie sie es beschreiben soll - das Gefühl, ein Kind zu retten. "Es ist einfach gut!", sagt sie. Wer der Junge ist, weiß sie erst seit einem Jahr. Denn der Kontakt zwischen Spender und Patient ist erst nach zwei Jahren erlaubt. "Ich schreibe mit seiner Mutti E-Mails. Die Zwei wollen mich vielleicht bald besuchen", erzählt die junge Frau. Was sie bisher über James weiß? "Er ist zierlich und dunkelblond. Und er spielt leidenschaftlich gern Fußball."

So wie Pascal früher. Für ihn und seine Familie ist das Leben ein anderes, seit er damals ins Krankenhaus musste, weil seine Mandelentzündung nicht abklang. "Als der Arzt sagte, dass es Leukämie ist, habe ich eine Woche lang nur geheult", sagt seine Mutter leise. Auf ihrem Küchenstuhl sitzt sie genauso zusammengesackt wie Pascal. Das Gesicht ist abgemagert, gezeichnet von tiefen Augenringen. Wenn ihr Kleiner wieder in der Klinik ist, steigt die Hausfrau jeden Tag um 9.15 Uhr in den Zug nach Jena; um 18.10 Uhr kommt sie wieder an. In der Zwischenzeit schmeißen ihre großen Kinder den Haushalt.

Wenn Pascal nach zwei Wochen Chemotherapie mal wieder nach Hause darf, spielen alle ein bisschen Normalität. Dann gehen sie raus in die Stadt, und mittags gibt es oft Spaghetti Bolognese. Es scheint, als könne Pascal an diesem Nachmittag niemand ein Lächeln abringen. Aber auf Krümel ist Verlass. Als die Jack-Russel-Welpe durch die Küchentür tapst, blickt der Junge plötzlich auf und ruft "Mein Krümel!" - zumindest so viel Lebensfreude hat ihm die Krankheit noch gelassen.