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Stendaler Seniorin verfolgt Nepper Kaffeefahrten: Halbtagsreise ins Ungewisse

Regina M. macht Kaffeefahrten mit - in dem Wissen, eventuell selbst
betrogen zu werden. Sie möchte die Muster verstehen und endlich mal eine
der Banden auffliegen lassen.

Von Anja Jürges 24.03.2014, 18:55

Stendal l Es ist kurz vor sieben Uhr. Nach mehreren Stationen sitzen neben Regina M. (vollständiger Name ist der Redaktion bekannt) etwa 35 Frauen und Männer im Bus. Die meisten von ihnen sind 70 Jahre alt und älter. Einige haben ihre Rollatoren im Gepäck. Wohin die Reise geht, weiß jedoch nicht einmal der Busfahrer - angeblich. Was Regina M. über den Ausflug weiß, schilderte sie jetzt der Volksstimme.

"Der Busfahrer sagte uns, er bekäme unterwegs Bescheid", sagt die Rentnerin. "So viele Menschen glauben den Worten der Einladungen. Glauben, sie bekämen gleich Geschenke." Regina M. weiß, dass sie sie nicht bekommen wird. Und dass sie ebenso wie alle Mitreisenden in Kürze betrogen werden soll. Sie fährt trotzdem mit. "Es ist die Neugier", sagt sie. "Ich möchte wissen, mit welchen Tricks und Argumenten die Betrüger den nichtsahnenden alten Menschen dieses Mal sinnlose Produkte für horrende Summen aufschwatzen." Und sie möchte sich einmischen. Möchte, dass endlich eine der Banden auffliegt.

"Man kann nicht alle Kaffeefahrten vorsorglich verbieten." - Beatrix Mertens, Polizei

Sind die Fahrten ordnungsgemäß beim Gewerbe- oder Ordnungsamt angemeldet, sind sie durchaus legal. Auch die Polizei kann im Vorfeld nichts tun. "Man kann nicht alle Veranstaltungen vorsorglich verbieten", sagt Beatrix Mertens, Pressesprecherin der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord. "Wenn jemand betrogen worden ist, kann er Anzeige erstatten. Dann muss das Gericht entscheiden." Mertens empfiehlt, während einer solchen Fahrt nichts zu erwerben und keine Kaufverträge abzuschließen. "Auf Versprechungen sollte man sich gar nicht erst einlassen."

Regina M. bekommt in manchen Wochen zwei bis drei dieser dubiosen Einladungen. "Von Unternehmen, von denen ich noch nie gehört habe und denen ich nie meine Adresse gegeben habe", sagt sie. Die Aufforderungen, an einer Fahrt teilzunehmen und ausstehende Gewinne in Empfang zu nehmen, kommen oft von Reiseveranstaltern. Regina M. hat die Adressen zurückverfolgt. "Die sitzen in der Schweiz oder in Großbritannien oder existieren gar nicht." Einmal hat sie ein offensichtlich von einer Gewinnspielkarte abfotografiertes Adresskärtchen mit ihrer Anschrift mitgeschickt bekommen. "Die Adressen werden einfach weitergegeben", sagt Regina M. "Manche behaupten dreist, sie hätten eine verbindliche Anmeldung erhalten. Selbst wenn ich mich auf eine Einladung nicht zurückgemeldet habe."

Die Halbtagsfahrt ins Ungewisse im April vergangenen Jahres will sie jedoch nicht verpassen. Der Veranstalter wirbt damit, "riesigen logistischen Aufwand betrieben" zu haben, um "ausreichend Geschenke einzukaufen". Für den Geschenke-Einkauf scheint der Organisator einmal durch den Supermarkt gezogen zu sein: Er verspricht Räucherfisch, Wein und Honig. Und obendrauf einen Flachbildfernseher.

Schließlich hält der Bus in Möckern (Jerichower Land) vor der Gaststätte "Zur Goldenen Krone". "Dort bekamen wir erstmal ein schönes Frühstück", erzählt die Rentnerin. Daraufhin habe ein Mann in die Runde gefragt: "Sie erwarten jetzt, dass wir Ihnen etwas verkaufen wollen? Hier wird nichts verkauft." In den folgenden Stunden habe er dann aber doch Kräutercremes, Nackenstützkissen und ein Gesundheitsmittel angepriesen. Natürlich alles zum Sonderpreis.

"Das ist typisch für solche Fahrten", sagt Gabriele Peters von der Verbraucherzentrale. "Denn während der Reise können die wenigsten die Preise mal eben schnell vergleichen." Einen Betrug nachzuweisen, sei sehr schwierig. Hat ein Kaffeereisender jedoch einen Kaufvertrag unterschrieben, kann er diesen binnen zwei Wochen widerrufen. "Ohne eine Widerrufsbelehrung in Textform kommt ein gültiger Vertrag gar nicht zustande", sagt Gabriele Peters. Damit verlängere sich der Zeitraum für den Widerruf sogar.

"Einen Betrug nachzuweisen, ist sehr schwierig." - Gabriele Peters, Verbraucherzentrale

"Wer etwas kaufen wollte, wurde ins Hinterzimmer gebeten", erzählt Regina M. "Und anschließend mit einem Pkw nach Hause gefahren." Getrennt von denen, die nichts gekauft haben. "Sicher, damit sie uns nicht erzählen, wie sie hinters Licht geführt wurden", vermutet Regina M. Auf Räucherfisch und Fernseher wartet sie vergebens.

Siebenmal hat sich Regina M. bereits auf ähnliche "Kaffeefahrten" eingelassen. Auch gekauft habe sie das ein oder andere Mal etwas. "Nur, wenn es mir tatsächlich wie ein Schnäppchen vorkam." Versprochen wurde jeweils lebenslange Garantie auf die Kissen und Bratpfannen. "Ich habe jedes Mal bar bezahlt. Ohne Quittung."

Einmal habe sie während der Präsentation hartnäckig nachgefragt, wie man ohne Beleg die Garantie geltend machen könne. "Die haben mich dann beiseitegenommen und gesagt, wenn ich jetzt meine Klappe hielte, bekäme ich hinterher eine Pfanne geschenkt", sagt sie.

Sie überlegt schon, ob sie in ein paar Tagen zu einer anderen Kaffeeveranstaltung geht. "Ich brauche die Dinge nicht. Aber irgendwie macht mir das Spaß. Und ich würde denen gern einmal einen Strich durch die Rechnung machen", sagt sie.