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Albanischer Familie droht Blutrache "Ich habe Angst um meinen Papa"

Mitten im letzten "Highschool"-Jahr muss sie ihr Heimatland verlassen,
dort werden Vater und Bruder bedroht. Seit April lebt die 18-jährige
Lorela in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Gardelegen und
fühlt sich sicher. Bleiben kann die Familie in Deutschland aber nicht:
Sie hatte schon in Kroatien einen Asylantrag gestellt.

Von Gesine Biermann 14.05.2014, 03:13

Gardelegen l Nur manchmal zwischendurch, wenn sie von ihrem Leben erzählt, so wie es noch vor ein paar Wochen war, lächelt sie ein bisschen. Dann sieht sie ganz kurz so aus, wie man sich eine unbeschwerte 18-Jährige vorstellt: hübsch, klug und lustig.

Zumindest die letzte Eigenschaft trifft auf Lorela Tafili aber kein bisschen zu. Denn gemeinsam mit ihrer Familie, der Mutter, dem Vater und dem 15-jährigen Bruder, mit denen sie seit wenigen Wochen in der Gardeleger Gemeinschaftsunterkunft wohnt, musste sie nach eigener Aussage ihre Heimat Albanien kürzlich Hals über Kopf verlassen. Die Geschichte, die Lorela erzählt, klingt fast wie ein Krimi.

"Mein Opa hat drei Menschen getötet." - Lorela Tafili

Warum ihr Leben unvermittelt aus den Fugen gerät, hatten die Eltern ihren Kindern erst wenige Tage vor der Flucht erklärt: Der Opa, "Officer" in einer Verwaltung, ein Staatsbeamter offenbar, habe als solcher "vor vielen Jahren" drei Menschen getötet, berichtet die junge Frau. Jahre später hätten deren Angehörigen - obwohl der Großvater in eine andere Stadt gezogen sei - ihre Familie gefunden. Den männlichen Nachkommen des Großvaters, also ihrem Vater und dem jüngeren Bruder, drohen sie nun mit dem Tod. Blutrache - dort natürlich ebensowenig mit der rechtsstaatlichen Gesetzgebung vereinbar, wie in Deutschland - wird in Albanien immer noch in Einzelfällen praktiziert.

Und der Vater nahm die "Killer" offenbar ernst: Für viel Geld habe er seiner Familie in rasender Eile Reisepässe besorgt. Ein Freund habe sie in einem Auto mit verspiegelten Scheiben aus der Stadt gebracht, Hals über Kopf hätte die Familie dann das Land verlassen, sagt die 18-Jährige.

Denn nach einer kurzen Zeit in Sicherheit befürchten die vier jetzt ihre Abschiebung aus Deutschland. Alles deute darauf hin. "Ich habe Angst um meinen Papa", sagt Lorela. Der Asylantrag sei negativ beschieden worden, "mein Vater hat zwar Widerspruch eingelegt", aber die Familie hat nur noch Geld bis zum 15. Mai und nicht mehr bis zum Monatsende bekommen."

"Die Familie Tafili ist ein Spezialfall." - Kreisdezernent Hans Thiele

Genau das bestätigt Kreisdezernent Hans Thiele am Dienstag nach kurzer Rücksprache mit dem Sozialamt, das die Auszahlung der finanziellen Mittel an die Asylantragsteller im Kreis veranlasst. Und Thiele kann auf Nachfrage auch noch mehr sagen. Denn die Familie Tafili soll Deutschland tatsächlich in den kommenden Tagen verlassen. Im Gegensatz zu anderen Asylantragstellern, denen die Abschiebung droht, können Lorela, ihre Eltern und ihr minderjähriger Bruder nicht einmal mehr freiwillig ausreisen - eine Option, die anderen oft angeboten wird.

Die Familie sei "ein Spezialfall", erläutert Thiele. Die Albaner hatten bereits in Kroatien einen Asylantrag gestellt, dies in Deutschland offensichtlich verschwiegen und so gegen geltendes Ausländerrecht verstoßen. Damit sei der zweite Antrag unzulässig, ihre Aufenthaltsgestattung erloschen. "Die Familie wird in den nächsten Tagen zwangsweise ausgewiesen", dabei handele es sich um eine sogenannte direkte Überstellung zurück nach Kroatien, so Thiele. Mitgeteilt wurde dem Landkreis die Entscheidung der Behörde vor wenigen Tagen. Mittlerweile sei auch die Familie über den Sachverhalt informiert.

Zwischenzeitlich haben die Tafilis aber offenbar einen Freund: Für Sören Herbst, Sprecher für Flüchtlingspolitik der bündnisgrünen Fraktion im Landtag, sind "die rechtlichen Möglichkeiten noch längst nicht vollständig ausgeschöpft." Eine Überstellung nach Kroatien hält Herbst schon deshalb für nicht ideal, da in dem jungen EU-Land "die demokratischen Strukturen ja noch gar nicht so weit ausgebaut sind." Er wolle die Situation prüfen, auch mit dem Hintergrundwissen, dass die Familie bereits in Kroatien einen Antrag gestellt habe. Herbst: "Fehler machen wir alle." Eine Flucht sei aber immer eine Extremsituation.