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Landesarbeitsgericht Streit um Besetzung von Richterposten

Seit nahezu zwei Jahren ist Sachsen-Anhalts Landesarbeitsgericht ohne Chef. Dabei gibt es einen brillanten Bewerber. Doch das SPD-geführte Justizministerium will ihn nicht. Grüne und CDU halten das für erschreckend. Richter sind verärgert.

Von Jens Schmidt 23.06.2014, 03:49

Magdeburg l Es kommt nicht oft vor, dass Top-Leute aus der Bundesebene sich für die Niederungen Sachsen-Anhalts interessieren. Im Falle des Landesarbeitsgerichts mit Sitz in Halle ist es ausnahmsweise mal so.

Vor zwei Jahren geht dort der damalige Präsident in Pension, das Justizministerium schreibt den freigewordene Chefposten aus. Fünf Juristen bewerben sich. Unter ihnen Horst Dieter Krasshöfer. Der renommierte Jurist ist seit 2002 Richter am Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Sitz in Erfurt. Das BAG ist Deutschlands oberste Instanz, wenn sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber streiten. Mit 62 ist Krasshöfer sehr erfahren und durch Urteile und Publikationen in der Justiz bundesweit bekannt. Erste Liga also. Sachsen-Anhalts Richterschaft ist begeistert.

Aber nicht lange. Denn: Das Justizministerium unter Angela Kolb (SPD) setzt den Top-Juristen im Auswahlverfahren nur auf Rang drei. Hauptgrund: Ihm fehle Verwaltungserfahrung. Die hat nach Ansicht des Kolb-Ministeriums der Vize-Präsident des Landesarbeitsgerichts Frank Böger. Er hatte schon mal im Justizministerium gearbeitet. Man kennt sich. Böger gilt als gut beeinflussbar. Er kommt auf Platz eins der Bewerberliste. Kolb entscheidet sich im Spätsommer 2012 für ihn. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ist einverstanden.

Im Herbst 2012 wird der Richterschaft der Vorschlag offiziell präsentiert. Der Präsidialrat der Arbeitsrichter, eine Art Personalvertretung, lehnt Kolbs Favoriten konsequent ab. Die Richter halten Böger für ungeeignet. Sie plädieren ganz klar für Bundesrichter Krasshöfer. Ministeriumsnähe gilt nicht gerade als hervorstechendes Qualitätsmerkmal in einem Berufsstand, der wie kaum ein anderer auf Unabhängigkeit achten muss. Zwar nimmt die Regierung keinen Einfluss auf Urteile - auf Gerichtsverwaltung, Stellen, Struktur und Geld aber schon. Daher wünschen sich die Richter einen starken Chef.

Besonders stößt auf, dass das Ministerium bei der Suche nach Führungspersonal mit unterschiedlicher Elle misst. Bei der Suche nach einem neuen Chef für das Landessozialgericht etwa sucht Kolbs Haus laut Stellenausschreibung jemanden, der "mehrjährige Erfahrung in der Gerichts- oderJustizverwaltung hat". Da war Verwaltungskenntnis nicht so wichtig. In der Stellensuche fürs Landesarbeitsgericht aber formuliert das Ministerium anders: "Vorausgesetzt werden sowohl mehrjährige Erfahrungen in der Gerichtsverwaltung als auchin der allgemeinen Justizverwaltung". Hier ist Ministeriumserfahrung plötzlich unabdingbar.

Das Ganze riecht vielen nach einer zurechtgebogenen Ausschreibung: Der Text wird so formuliert, dass er genau auf den von vornherein gewünschten Bewerber passt. Dafür zuständig ist im Ministerium der Abteilungsleiter für Personal. Politiker, die ihn gut kennen, bestätigen diesen Stil: Er hat jemanden im Kopf und formuliert danach die Ausschreibung.

Der Streit zwischen Richtern und Regierung landet voriges Jahr bei der Einigungsstelle. Das mit Streitschlichtung beauftragte Gremium ist mit Richtern und Regierungsleuten besetzt. Der bundesweit hoch anerkannte ehemalige Bundesarbeitsrichter Franz-Josef Düwell schreibt eine zehnseitige Expertise. Ergebnis: Krasshöfer wäre der beste Mann. "Eine Ohrfeige für Kolb", kommentiert ein Justizpolitiker aus dem Landtag den bemerkenswerten Vorgang.

Daraufhin sucht die Regierung nach einer Lösung. Monatelang. Im Dezember 2013 entscheidet Haseloff. Nicht für den auf der Ministeriumsliste erstplatzierten Böger und auch nicht für den drittplatzierten Krasshöfer. Er entscheidet sich für die Zweitplatzierte: Eine Arbeitsrichterin - mit Ministeriumserfahrung; sie war schon mal Referatsleiterin im Justizressort.

Was als glättender Kompromiss gedacht war, sorgt für weitere Unruhe. Der Justizpolitiker der Grünen, Sören Herbst, hält die Außenwirkung des Vorgangs für verheerend. "Die Bewerbung Krasshöfers ist nicht ausreichend gewürdigt worden. Leute, die sich bewerben, müssen den Eindruck gewinnen, dass sie hier nicht fair behandelt werden." Er fordert eine Neuausschreibung und eine frühe Einbeziehung der Richterschaft. Auch in der Koalition herrscht Unmut über die Personalpolitik. "Das ist leidig und ärgerlich", schimpft Justizpolitiker Siegfried Borgwardt, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion. "Dadurch leiden die Arbeitsfähigkeit und das Arbeitsklima im Gericht."

In der Union hält man Krasshöfer für eine überzeugende Lösung. Auch wenn er schon 62 ist, könnte der erfahrene Jurist bis zur Pensionierung einen starken Nachfolger aufbauen. Doch die Fraktionen sind nicht entscheidungsbefugt, das ist Sache der Regierung. Das Justizministerium gibt zu laufenden Personalangelegenheiten keinen Kommentar.

Unter den Richtern wirkt der Kompromiss ebenfalls nicht gerade beruhigend. Gegen den Vorschlag der Regierung hat nun eine andere leitende Arbeitsrichterin aus Halle Konkurrentenklage eingereicht. Sie hält sich für die Bessere. Das Verfahren läuft. Darüber entscheiden nun Verwaltungsgerichte.