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Kirchensteuer auf Kapitalerträge Kirche verliert Tausende Mitglieder

Eine minimale Änderung im Steuerrecht hat den Kirchen eine Austrittswelle beschert. Bei den Protestanten sagten sich im ersten Halbjahr mehr Menschen los als im gesamten Jahr davor.

Von Hagen Eichler 04.09.2014, 03:13
Zwei Frauen und ein Mann sitzen am 08.07.2013 in der Marktkirche in Hannover (Niedersachsen). Die Zahl der Christen in Niedersachsen hat binnen fünf Jahren um mehr als 300.000 abgenommen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa (zu lni 0094 vom 08.07.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Zwei Frauen und ein Mann sitzen am 08.07.2013 in der Marktkirche in Hannover (Niedersachsen). Die Zahl der Christen in Niedersachsen hat binnen fünf Jahren um mehr als 300.000 abgenommen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa (zu lni 0094 vom 08.07.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++ dpa

Magdeburg l Seit Jahresbeginn sind die Kreditinstitute verpflichtet, die Kirchensteuer auf Kapitalerträge automatisch einzuziehen. Zuvor mussten Kirchenmitglieder ihre Zinseinnahmen in der Steuererklärung angeben. Theoretisch ändert sich also nur die Art des Einzugs - und dennoch treibt die Änderung Kirchenmitglieder scharenweise in die Standesämter, wo sie ihren Austritt erklären.

Beispiel Halle: In den ersten sieben Monaten dieses Jahres verabschiedeten sich 367 Christen, im Vorjahreszeitraum waren es 142. Das Magdeburger Standesamt nahm von Januar bis Ende Juli sogar 469 Austritte entgegen, nach 172 im Vorjahr.

Das Ausmaß der Verluste hat die Kirchen überrumpelt. "Wir haben wohl zu spät begonnen, die Gemeindemitglieder über das veränderte Verfahren zu informieren", räumt Thomas Lazar ein, Sprecher des katholischen Bistums Magdeburg. Besonders bitter für die Glaubensgemeinschaften: Vor der Kirchensteuer auf Kapitalerträge flüchten viele, die ohnehin gar nichts zahlen. Denn herangezogen wird nur, wer mehr als 801 Euro Zinsen einstreicht (1602 Euro bei Ehepaaren).

Zwar haben die Banken ihre Kunden über die Neuregelung informiert. "Offenbar ist aber bei vielen angekommen, dass da eine zusätzliche Kirchensteuer eingeführt wird - obwohl das gar nicht stimmt", sagt Friedemann Kahl, Sprecher der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM).

EKM-Finanzdezernent Stefan Große verfolgt die Auswirkungen mit Sorge. Im ersten Halbjahr haben zwischen Arendsee und dem thüringischen Sonneberg schon mehr evangelische Christen ihren Austritt erklärt als im gesamten Vorjahr. Der Anstieg im ersten Halbjahr ist mit 130 Prozent noch drastischer als in anderen Landeskirchen. Hannover etwa erwartet 40 Prozent, die Nordkirche um die 50 Prozent mehr Austritte.

Die katholische Kirche hat noch keine Zahlen, geht aber ebenfalls von einem Anstieg aus. "Wir bedauern jeden Austritt, weil er zeigt, dass wir einen Menschen mit unserer Botschaft nicht mehr erreichen", sagte Bistumssprecher Lazar. Nötig sei mehr Engagement, um auf die Ausgetretenen zuzugehen.

Der automatische Einzug durch die Banken wurde auf Wunsch der Kirchen eingeführt. Nicht nur Gehaltsempfänger, sondern auch Besitzer großer Vermögen sollten einen angemessenen Beitrag leisten. "Uns ging es um die Gerechtigkeit", sagte Christoph Hackbeil, evangelischer Regionalbischof im Propstsprengel Stendal-Magdeburg.