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Studenten werden Berater für Sex-Probleme Sexologie: Ein Studium macht´s nett im Bett

26.09.2014, 01:05

Im Frühjahr startet an der Hochschule Merseburg Sexologie - ein berufsbegleitendes Aufbaustudium. Dabei geht es nicht etwa um eine Weiterbildung im Bett. Die Studenten sollen später anderen bei Sexproblemen helfen, wie der verantwortliche Professor Harald Stumpe im Interview mit Volksstimme-Redakteurin Elisa Sowieja erklärt.

Ein Studium in Sexologie - bei dem Gedanken muss man sich als Laie das Kichern verkneifen. Wozu gründen Sie diesen Studiengang?

Harald Stumpe: Bei uns wirken nach wie vor sehr viele alte Moralvorstellungen. Wir sind noch ein ganzes Stück davon entfernt, dass jeder Mensch selbstbestimmte Sexualität leben kann.

Wie kann da ein Sexologie-Absolvent Abhilfe schaffen?

Zunächst muss man sagen, dass wir seit 2009 schon einen Master Angewandte Sexualwissenschaft haben. Sein Schwerpunkt liegt auf Bildung, und er ist sehr erfolgreich: Für die 21 Plätze gibt es mehr als 200 Bewerbungen. Sexologie geht stärker in die beraterisch-therapeutische Richtung. Nicht wenige Menschen verspüren bestimmte Neigungen - eine homosexuelle oder eine sado-masochistische zum Beispiel. Weil solche Neigungen tabuisiert werden, gilt es, für diese Menschen gute Ansprechpartner zu finden.

Sexualberater gibt es doch aber bereits.

Die klassische Beratung erfolgt meist durch Kommunikation. Der neue Studiengang verfolgt einen modernen Ansatz namens Sexocorporel. Er hebt das Körperliche stärker hervor. Die Studierenden erlernen körperorientierte Übungen.

Körperorientierte Übungen?

Eine große Rolle spielen Atem- und Entspannungsübungen.

Die verhelfen zu angenehmerem Sex?

Probleme wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder vorzeitiger Samenerguss lassen sich auf diesem Weg beseitigen, sodass das Sexualleben intensiver und befriedigender wird.

Und das ist neu?

Es hat in der Vergangenheit bereits verhaltenstherapeutische Übungen gegeben, die Übungen bei Sexocorporel erweitern das Spektrum. Der Ansatz ist in Deutschland noch sehr neu. Er hat sich in der Schweiz verbreitet, deshalb haben wir diesen Studiengang in Kooperation mit Schweizer Kollegen entwickelt.

"Atemübungen helfen bei Problemen wie vorzeitigem Samenerguss."

Wo können Absolventen die neuen Übungen dann vermitteln?

Anwenden können sie das Gelernte in Beratungsstellen, die Sexualtherapie anbieten. Es ist aber auch denkenswert, dass eine stärkere Kooperation mit medizinischen Fachrichtungen entwickelt wird. Ich denke dabei an die Urologie und Gynäkologie. Nach Operationen bei Prostatakrebs beispielsweise kommt es zu allen möglichen sexuellen Problemen. Oftmals sind die Männer dann sich selbst überlassen.

Die Teilnehmer sollen aus der Psychologie, Pädagogik, Medizin und Soziologie kommen. Besteht da nicht die Gefahr, dass das Studium an der Oberfläche bleibt?

Nein, im Gegenteil. Die Praxis aus unserem bisherigen Studiengang zeigt, dass jede Disziplin eine andere Sichtweise auf die Sexualität hat. Bei uns finden keine traditionellen Vorlesungen statt. Ein Jahrgang besteht aus maximal 25 Studierenden, da spielt sich viel mittels Interaktion ab, sodass durch die unterschiedlichen Herangehensweisen ein ganzheitlicher Blick entwickelt werden kann.

Im Studienplan stehen auch Praktika. Bei diesem Punkt kommt man doch wieder ins Schmunzeln.

Praktika heißt, dass die Studierenden in Beratungsstellen Klienten therapieren oder Bildungsprojekte an Schulen und Behinderteneinrichtungen durchführen. Das hat also nichts mit der Vorstellung eines Sexpraktikums zu tun. Ich finde das immer interessant: In keinem anderen Zusammenhang käme man auf solche Idee.

19.500 Euro kostet das Studium. Das ist viel Geld. Wie viele sind bisher bereit, das zu zahlen?

Künftig soll es immer zwei parallele Durchgänge geben: einen in der Schweiz und einen in Merseburg. Der erste Durchgang in der Schweiz wird schon im Herbst starten. Dort ist das Studium noch teurer, es kostet 33000 Schweizer Franken. Aber in der Schweiz ist es schon länger üblich, dass man in seine Bildung investiert. In Deutschland ist das ein bisschen schwieriger. Wir werden im Herbst noch nicht beginnen können. Es gibt jetzt zehn Interessenten, wir brauchen wenigstens 15. Im Sommersemester 2015 soll es aber auch hier losgehen.

Was machen Sie, wenn sich nicht genügend Interessenten melden?

Ich bin fest überzeugt, dass der Durchgang zustande kommt. Wir haben vor Jahren unseren ersten gebührenpflichtigen Studiengang eingeführt. Damals war es noch unüblich, Geld für ein Studium zu verlangen, und er wurde trotzdem erfolgreich. Es ist also eine Frage der Zeit. Sollte der Durchgang im Frühjahr dennoch nicht zustande kommen, beginnt er im Herbst nächsten Jahres.

"Es gibt leider nach wie vor einen deutlichen Frauenüberschuss."

Unter den Interessenten ist vermutlich der weibliche Anteil hoch.

Das ist richtig. Es gibt leider nach wie vor einen deutlichen Frauenüberschuss.

Weil Männer es nicht für notwendig halten, sich mit Sexualität auseinanderzusetzen?

Das ist sicherlich ein Grund. Männer meinen: Über Sex redet man nicht, man hat ihn. Man muss aber auch beachten, dass Männer und Frauen unterschiedlich sozialisiert werden. Frauen begreifen früher, dass sexuelle Kompetenzen nicht per se vorhanden sind.

Deutschlandweit ist dieses Studium einmalig. Was sagen Kollegen anderer Hochschulen zum Vorstoß im kleinen Merseburg?

Das kleine Merseburg hat innerhalb dieser Szene schon durch den ersten Studiengang einen recht hohen Stellenwert. Es gibt an anderen Universitäten seit Jahren die Bestrebung, auch so etwas in Gang zu bringen. Aber die Universitäten sind schwere Tanker und somit schwierig zu bewegen. An einer kleinen Hochschule ist das etwas leichter. Wobei es kein Geheimnis ist, dass auch ich zehn Jahre gebraucht habe, um die Hochschule davon zu überzeugen, solchen Studiengang zu etablieren.

Informationen zur Bewerbung gibt es im Internet unter www.hs-merseburg.de und bei Professor Harald Stumpe, Telefon (03461)462207.