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Haseloff im Interview "Es sind Unwuchten entstanden"

Wie soll es nach dem Jahr 2019 mit den Bund-Länder-Finanzbeziehungen
weitergehen? Was ist für den Osten besonders wichtig? Michael Bock
sprach mit Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU).

17.10.2014, 01:13

Herr Ministerpräsident, was soll Ihrer Meinung nach aus dem Solidaritätszuschlag werden?
Reiner Haseloff: Ich plädiere dafür, den Solidaritätszuschlag auch nach 2019 als eine Abgabe zur Strukturförderung beizubehalten. Eine neue Erhebung für neue Zwecke muss allerdings gut begründet werden, wenn sie auch künftig verfassungsfest sein soll. Sicher ist: Ohne dieses Finanzaufkommen von derzeit rund 14 Milliarden Euro wird ein Gesamtkompromiss der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020 kaum gelingen.

Wie lange sollte diese Sonderabgabe erhoben werden?
Zwei bis drei Legislaturperioden (also acht bis zwölf Jahre, die Redaktion) wären das Minimum. Die Summe muss nach klaren Kriterien fair an den Bund und an die Länder verteilt werden.

Wofür werden die Milliarden benötigt?
Gesamtdeutsche Herausforderungen gibt es mehr als genug. Wir brauchen ab 2020 eine effektive Strukturpolitik, die mehr Wachstum für schwache Regionen bringt - und zwar unabhängig von der Himmelsrichtung. Anders ist die weitere Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland nicht möglich.

Wir in Ostdeutschland benötigen mehr mittelständische Unternehmen und nachhaltige Arbeitsplätze. Nur so lässt sich die Steuerschwäche der ostdeutschen Länder überwinden. Zum Vergleich: Das Steueraufkommen in den ostdeutschen Ländern beträgt je Einwohner 937 Euro. Im Westen liegt es bei 1817 Euro je Einwohner.

Auch darum darf die Neuordnung der Finanzbeziehungen nicht zu Brüchen und Rückschlägen im Aufholprozess führen.

Was halten Sie von dem Vorschlag, den Ländern mehr Steuerautonomie zu geben?
Solche Vorschläge lehne ich kategorisch ab. Insbesondere in den ostdeutschen Ländern fehlen die Voraussetzungen, einen solchen Steuerwettbewerb erfolgreich bestehen zu können. Da könnten wir nicht mithalten. Wir haben nun einmal keine realistische Option, Steuersätze abzusenken. Wir brauchen keine Steueroasen in Deutschland. Denn letztlich würde das heute bestehende Reichtumsgefälle zu Lasten der finanzschwachen Länder vergrößert. Das will das Grundgesetz nicht. Deshalb halte ich es mit Konrad Adenauer und sage: "keine Experimente"!

"Wir sind auch Geberländer."

Welche Effekte würden Sie für Sachsen-Anhalt erwarten?
Für Sachsen-Anhalt hätte dies negative Konsequenzen. Es gibt Umfragen, wonach sich mehr als jeder fünfte Deutsche vorstellen kann, wegen eines niedrigeren Steuersatzes seinen Wohnsitz in ein anderes Bundesland zu verlegen. Sachsen-Anhalt wäre also einer der Verlierer. Steigende Abwanderung und Wachstumsverluste wären unvermeidlich. Daher bin ich auch dagegen, bundeseinheitliche Standards bei Sozialausgaben durch eine Regionalisierung von Gesetzgebungskompetenzen abzusenken.

Wie stellen Sie sich ein faires Ausgleichssystem vor?
Der Finanzausgleich muss leistungsorientiert sein. Jedes Land muss seine Hausaufgaben, so bei der Konsolidierung der Haushalte, machen. Und wir brauchen eine Vollkostenrechnung.

Was heißt das?
Bei der Gesamtrechnung muss auch wirklich alles berücksichtigt werden. Zum Beispiel die Tatsache, dass Hunderttausende Pendler aus dem Osten zum wirtschaftlichen Wohlergehen der dortigen Unternehmen und zum Reichtumsvorsprung in den alten Ländern beitragen. Millionen Ostdeutsche sind in den Westen abgewandert und steigern dort das Bruttoinlandsprodukt. Insofern sind auch wir Geberländer. Und: Beim Finanzausgleich sollten die Folgen des Zweiten Weltkriegs berücksichtigt werden. Die Entwicklung der Regionen war auch ein Zufallsprodukt. Je nachdem, in welcher Besatzungszone man lebte. Im Osten fehlen jetzt die großen Konzernzentralen. Ohne den Krieg wäre Siemens nicht in München, sondern in Berlin. Und in Frankfurt/Main hätten nicht so viele Banken ihre Zentrale. Es sind also Unwuchten entstanden, die bei der Neuberechnung der Finanzströme beachtet werden müssen.

"2015 ist das Schlüsseljahr."

Diskutiert wird auch darüber, die Schuldenbremse zu lockern. Wie sehen Sie das?
Das ist für uns keine Option. Die Schuldenberge müssen abgebaut werden. Wir halten übrigens die Schuldenbremse bereits jetzt ein. In dieser Legislaturperiode werden wir ohne Nettoneuverschuldung auskommen. Außerdem sind wir schon in die Schuldentilgung eingestiegen.

Bayern und Hessen klagen gegen den Länderfinanzausgleich. Was bedeutet das für die derzeitige Diskussion?
Wir empfinden die Klagen nicht als freundlichen Akt. Ich habe aber die Hoffnung, dass in den nächsten Monaten einvernehmlich vernünftige Lösungen gefunden werden, die die Klagen überflüssig machen.

Wie werden die Verhandlungen weitergehen?
Ich halte es für realistisch, dass wir uns noch in diesem Jahr auf die Grundzüge der künftigen Bund-Länder-Finanzbeziehungen verständigen können. 2015 ist dann das Schlüsseljahr.