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Zirkus Probst Mindestlohn wird zum Drahtseilakt

In einem Zirkus-Forum im Internet machte am Donnerstag eine böse Nachricht die Runde: Der Traditionszirkus Probst stelle angeblich zum Jahresende den Tourneebetrieb ein! Eine Lüge, ergeben Volksstimme-Recherchen. Wahr ist allerdings, dass Zirkusunternehmen und Schaustellerbetriebe schwer mit dem Mindestlohn zu kämpfen haben.

Von René Kiel und Steffen Honig 24.10.2014, 01:13

Staßfurt/Magdeburg l "Unsere Tournee für das nächste Jahr ist schon komplett geplant. Sie soll am 1. März 2015 in Leipzig starten", sagt der Geschäftsführer von Zirkus Probst, Andreas Blessmann, am Donnerstag der Volksstimme. Ob das 80-Mann-Unternehmen 2015 aber tatsächlich in der Messestadt seine Zelte aufbaut, steht aber noch nicht hundertprozentig fest. "Wir müssen uns ganz einfach umstrukturieren, denn wir sind für die heutigen Verhältnisse zu groß und zu kostspielig", gibt Blessmann, Schwiegersohn von Zirkusgründer Rudolf Probst unumwunden zu.

Wochenend-Zuschläge belasten Zirkus Probst

Schwer zu schaffen macht ihm die zum Januar 2015 geplante Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes und die damit verbundene Bürokratie. Blessmann fragt sich, wie er die für die Wochenendvorstellungen geplanten Zuschläge von 50 Prozent am Sonnabend, 100 Prozent am Sonntag verkraften soll.

Hinzu komme die Pflicht, die Arbeitszeit des Personals künftig schriftlich zu dokumentieren. Das sei bei den Artisten und Zirkus-Mitarbeitern, wie zum Beispiel den Tierpflegern, die den ganzen Tag auf dem Platz seien, zwischendurch aber mehrere Stunden Pause hätten, einfach unmöglich, sagt der Zirkuschef.

Darüber hinaus habe das vor 69 Jahren gegründete Staßfurter Zirkusunternehmen, das von jeher ohne staatliche Subventionen auskommen müsse, an allen Fronten mit Preissteigerungen zu kämpfen. "Allein für die Plakatierung für unser nächstes Gastspiel in Dessau mussten wir 800 Euro bezahlen", sagt Blessmann. Die höheren Kosten könne man nicht auf die Eintrittspreise umlegen, die Zirkus Probst seit drei Jahren mit elf bis 26 Euro pro Karte stabil hält. "Mehr können die Leute einfach nicht bezahlen", weiß der Geschäftsführer zu gut. "Wenn die Kuh fünfmal gemolken ist, gibt sie keine Milch mehr."

Hoffnung auf Ausnahmegenehmigung gegen Mindestlohn

Für den Fall, dass es zu keiner Besserung kommt, kann sich der 56-Jährige die Einstellung des Tourneebetriebes durchaus vorstellen. Dann könnte es in Magdeburg nur noch einmal im Jahr einen Weihnachtszirkus geben.

Aber noch setzt Andreas Blessmann seine Hoffnungen auf die Magdeburger Schausteller, mit dem der Staßfurter Zirkus schon seit Jahren kooperiert. Für Karl Welte, Chef des Vereins Selbstständiger Gewerbetreibender Markt-Messereisender Magdeburg (VSG), der auch den Messeplatz am Kleinen Stadtmarsch betreibt, ist Probst-Geschäftsführer Blessmann inzwischen vom Partner zum Freund geworden.

Doch Welte sieht selbst Zukunftsprobleme. Die Gespräche der beiden sind in den vergangenen Wochen ernster geworden: Beide haben Sorgen mit dem Mindestlohn. Sie wollen deshalb eine Ausnahmegenehmigung erwirken. "Die Schausteller haben für unsere Branche schon eine Menge erreicht", sagte Blessmann in Anspielung auf das gelockerte Sonntagsfahrverbot.

Kommunismus überlebt - jetzt bedroht

Dass Blessmann nur auf die Schausteller setzt, hat seinen Grund. Im Gegensatz zu den Zirkussen haben die Schausteller in Deutschland einen gut organisierten Lobbyverband. Dessen Vizechef Klaus Wilhelm hatte bereits im Sommer vor Arbeitsplatzverlusten gewarnt. Der Verband war bei Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorstellig geworden, um Ausnahmen beim Mindestlohn zu erwirken - vergeblich.

Beide Branchen, so Welte, seien personalintensiv und auf Saisonkräfte angewiesen, die Zirkusse übrigens noch mehr als die Schausteller. Um zurechtzukommen, machen sich die Unternehmen bisher die Lohnschere in Europa zunutze. "Wir haben viele osteuropäische Mitarbeiter, die sich von ihrem Verdienst weit mehr leisten können, als deutsche Hilfsarbeiter", sagt Schausteller-Chef Welte und nennt ein plastisches Beispiel: "Ein Mitarbeiter von uns aus Rumänien konnte sich nach drei Saison-Jahren von dem Geld zu Hause eine Eigentumswohung kaufen." Nun also wäre für alle Beschäftigten der Mindestlohn fällig.

Welte weiß wie Zirkuschef Blessmann nicht, wie er das zahlen soll. Notfalls müsste er auf große Fahrgeschäfte verzichten und auf reinen Familienbetrieb mit Karussellchen umstellen. "Wir sehen gedrückt in die Zukunft, aber keiner will das Handtuch werfen", erklärt Welte kämpferisch und muss doch konstatieren: "Was der Kommunismus nicht geschafft hat, uns kleine Gewerbebetriebe klein zu kriegen, kann jetzt passieren."