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Polizeireform Sachsen-Anhalt Stahlknecht: "Die Polizei ist schneller vor Ort"

Das Wahlkampfjahr 2015 wird eine Bewährungsprobe für Innenminister
Holger Stahlknecht (CDU). Er will gegen etliche Widerstände die Polizei
gründlich umorganisieren. Mit ihm sprach Volksstimme-Reporter Jens
Schmidt.

29.12.2014, 01:12

Volksstimme: Herr Minister, 2014 haben Sie Ihre Polizeireform gestartet: Jede Gemeinde bekommt ihren Gemeindepolizisten, im Gegenzug werden alle Stationen dichtgemacht. Es hagelte Protest. Wie ist die Stimmung jetzt?
Holger Stahlknecht: Die erste Stufe ist bis zum Jahresende umgesetzt worden: Anstelle der 69 Polizeistationen, die ohnehin größtenteils nur noch auf dem Papier existierten, hat jetzt jede Gemeinde mindestens zwei Regionalbereichsbeamte. Die Regionalbereichsbeamten sind wirklich in der Gemeinde und haben ihr Büro nicht selten sogar mit im Rathaus. Sie werden auch nicht mehr für andere Einsätze abberufen - mal vom Katastrophenfall abgesehen. Mittlerweile sagen die Bürgermeister: Das ist meine Polizei. Einer sagte mir letztens: Wenn es die nicht gäbe, man müsste sie erfinden.

Aber nicht alle sind begeistert. Der Bürgermeister in Thale, Ihr Parteikollege Balcerowski, will zusätzlich einen privaten Sicherheitsdienst einsetzen, da Kriminalität nicht bekämpft, sondern nur noch verwaltet werde.
Da liegt der Bürgermeister falsch. Zunächst zum Grundsätzlichen: Polizisten sind verpflichtet, strafrechtlich zu ermitteln, sobald sie Kenntnis von einer möglichen Straftat erlangen. Andernfalls wäre das Strafvereitelung im Amt. Nun zu Thale: Die Kriminalität liegt dort unter dem Landesdurchschnitt. Die Aufklärungsquote liegt bei 56 Prozent und damit sogar über dem Bundesdurchschnitt. Jeder Einwohner und jeder Tourist darf sich in Thale sicher fühlen. Wenn jetzt ein privater Sicherheitsdienst engagiert wird, kann das schnell zum gegenteiligen Effekt führen. Die Leute denken dann, dass in dieser Stadt ja was los sein muss. Da werden schnell Ängste geschürt, die durch nichts belegt sind.

Sie halten nichts von privaten Sicherheitsdiensten?
Sie mögen bei manchen Gelegenheiten eine Ergänzung sein. Ich würde aber jedem Bürgermeister raten, zuerst sein Ordnungsamt personell zu ertüchtigen, bevor man an private Sicherheitsdienste denkt. Nehmen wir das Problem der Ruhestörung: Für die Lösung ist laut Gesetz die Gemeinde zuständig. Die Polizei übernimmt das zwar regelmäßig, aber eigentlich ist das Sache der Gemeinde. Also: Ein gut ausgestattetes Ordnungsamt, das mit den Regionalbereichsbeamten eng zusammenarbeitet - das hätte einen hohen Effekt.

Bürgermeister wollten gern ein Alkoholverbot an bestimmten Plätzen. Das Landesverfassungsgericht hat die entsprechende Gesetzespassage gekippt. Machen Sie einen neuen Anlauf?
Die Hürden, die uns das Verfassungsgericht dafür aufgegeben hat, sind sehr hoch: Wir müssten genau Buch führen, wer wo Alkohol trinkt und welche Straftaten sich daraus entwickeln. Ich werde mit dem Städte- und Gemeindebund noch mal darüber reden, aber ich denke, wir werden bis 2016 keinen neuen Anlauf unternehmen.

Die zweite Stufe Ihrer Reform sieht neuartige Einsatzkreise vor. Wann kommen die und wie sollen diese funktionieren?
Ab Januar starten wir damit im Süden des Landes. Die PD Nord geht nach einer zweimonatigen Probephase ebenfalls im Januar in den Echtbetrieb. Bislang fuhren die Polizisten von ihrem Revier aus zu einem Tatort oder zu einem Unfall. Es gab starre Reviergrenzen. Jetzt bilden wir übers ganze Land Einsatzbereiche, die sich zum Teil überlappen. Jeder Bereich hat einen Durchmesser von 24 Kilometern. In jedem Bereich ist rund um die Uhr mindestens ein Funkstreifenwagen unterwegs. Passiert etwas, erkennt die Einsatzzentrale in der Polizeidirektion über GPS, welcher Wagen am nächsten dran ist und schickt diesen zum Einsatz.

Was hat der Bürger davon?
So ist die Polizei schneller am Ort des Geschehens. Zudem sind die Polizisten mehr in der Fläche präsent und weniger im Büro - sie erledigen künftig das meiste gleich vor Ort in interaktiven Streifenwagen, die rollende Büros sein werden. Die ersten werden im Januar 2015 ausgeliefert. Die höhere Präsenz ist für das Sicherheitsgefühl wichtig. Zudem bietet uns die neue Struktur mehr Effektivität. Diese brauchen wir, um mit einem nicht größer werdenden Personalkörper gute Arbeit leisten zu können.

2008 hatte das Land 8000 Polizisten. Jetzt sind es 6000. Bis 2020 soll die Zahl auf etwa 5800 zurückgehen. Nun sinkt zwar die Einwohnerzahl, aber das Land wird ja nicht kleiner. Ist ein weiterer Personalabbau verantwortbar?
Zunächst: Bis 2016 halten wir 6000 Polizisten im Vollzug. Und wir stellen ab dem kommenden Jahr mehr junge Polizisten ein, als zunächst geplant war. Ab 2017 verstärken jährlich 200 junge Beamte unter anderem die Reviere. Wir sind ja von der reinen Einwohnerzahl-Betrachtungsweise weggekommen und schauen auch, wo Kriminalitätsschwerpunkte sind. Und wir werden die Strukturen entwirren, damit die Arbeit besser wird: Wir konzentrieren Polizei in der Fläche zulasten der Verwaltung. Wir senken die Zahl der Kriminalpolizisten auf den Bundesdurchschnitt ab und stärken dafür aber die Schutzpolizei.

Das klingt nach Veränderung, nach Versetzungen und nach Ärger. Wie wollen Sie einer Demotivation vorbeugen?
Indem wir das auch nach sozialen Gesichtspunkten regeln. Die Zahl der Kinder spielt eine große Rolle, ob jemand alleinerziehend ist oder etwa seine Eltern pflegt. Wir werden auch nicht auf die Idee kommen, jemanden, der gerade in Dessau ein Einfamilienhaus gebaut hat, in die Altmark zu schicken.

Mir ist klar, dass jede Veränderung ein schwieriger Prozess ist. Allerdings möchte ich betonen: Wir reden von maximal 150 Versetzungen - bei 6000 Polizisten. Zudem erwarte ich, dass unsere jungen Kollegen, die von der Fachhochschule Aschersleben kommen, beweglich sind - und dort arbeiten, wo wir sie brauchen. Das sind im nächsten Jahr 150 und später jährlich 200. Auch dies hilft, Versetzungen älterer Kollegen zu minimieren.

Wo werden vor allem Polizisten gebraucht?
Um das Reformvorhaben umzusetzen, werden wir vor allem im Bereich Gardelegen und bei Wittenberg Polizeibeamte zuführen.

Die Gewerkschaft GdP pocht darauf, dass bei Versetzungen eine dienstgradabhängige Obergrenze von 40 beziehungsweise 50 Kilometern gilt. Kann die Gewerkschaft Ihre Reform noch stoppen?
Nein. Die Reform wird umgesetzt wie besprochen. Konflikte wird eine Härtefallkommission lösen. Ich lehne es grundsätzlich ab, dass Landesbedienstete ab einer bestimmten Weglänge nicht mehr versetzt werden dürfen. Das können wir uns nicht leisten, zumal es auch Menschen im Land gibt, die viel weiter pendeln müssen. Wir haben einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Der berücksichtigt natürlich die Wegstrecken, er berücksichtigt aber auch familiäre Umstände - weil wir das für sozialer halten. Es kann doch nicht sein, dass eine junge Mutti mit zwei Kindern 38 Kilometer pendeln muss; ein lediger junger Mann ohne Kinder bei 43 Kilometern aber nicht.

Themenwechsel. Die Feuerwehren beklagen einen hohen Investitionsstau. Wie wollen Sie den auflösen?
Wir müssen die Fahrzeugflotte erneuern - aber das geht nicht von heute auf morgen. Meine Überlegungen gehen dahin, nach 2016 einen eigenständigen Feuerwehrfonds zu gründen. Mit dem Geld könnten wir zentral Fahrzeuge und Technik einkaufen. Bislang werden die Feuerwehren ja über die Zuweisungen an die Gemeinden finanziert. Da verzetteln wir uns.

Die Gemeinden wurden fusioniert. Müssten sich nicht auch Feuerwehren zusammenschließen?
Natürlich hilft das, zumal man heute kein Gerätehaus mehr unter einer Million Euro bekommt. In Förderstedt wird gerade aus drei Feuerwehren eine. Aber Fusionen müssen von den Kameraden gewollt sein und auf freiwilliger Basis umgesetzt werden. Wer das von oben dirigiert, zerschlägt das Ehrenamt.

Nächstes Jahr werden Tausende Asylbewerber zu uns kommen. Ist das Land gut gewappnet?
Finanzmittel und Unterkünfte sind da - es bleibt aber eine der größten politischen Herausforderungen. Deutschland braucht dringend ein Zuwanderungsgesetz. Ich sehe zwei Hauptaufgaben: Fachkräften, die hier arbeiten möchten, müssen wir eine Einbürgerung erleichtern. Und zweitens: Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde, müssen auf leichtem Wege die Möglichkeit erhalten, dennoch hierzubleiben - wenn sie sich integriert haben und hier arbeiten können.

Oft dauert es Jahre, ehe über einen Antrag entschieden ist: Viele haben mittlerweile Deutsch gelernt, hier eine Familie gegründet. Sie abzuschieben, ist falsch. Integration können wir nicht allein mit Law und Order lösen. Wir müssen beweglicher, offener werden: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wir dürfen uns nicht länger dagegen wehren.

Ich sage aber auch: Wer keinen Asylgrund hat, sich nicht integriert und nicht hier arbeitet, der kann nicht in Deutschland bleiben.