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Strategiewechsel Halberstädter Würstchen setzt auf Vegetarisches

14.02.2015, 01:23

Halberstadt l Eigentlich ist Silke Erdmann-Nitsch Juristin. Aber als Anwältin zu arbeiten - das konnte sie sich nach ihrem Studium nicht vorstellen. "Ich wollte einfach nicht jeden als Anwältin vertreten, dafür bin ich ein zu ehrlicher Mensch." Zur Überraschung ihres Vaters hat sie deshalb 1999 im Familienunternehmen angefangen und leitet es mittlerweile gemeinsam mit ihrem Bruder Stefan Nitsch. Kein leichter Job, denn die Verzehrgewohnheiten der Verbraucher haben sich rasant verändert.

Ob die jüngsten Produktneuheiten bei den Verbrauchern ankommen, steht noch nicht ganz fest. Seit ein paar Wochen verkauft Halberstädter vegetarische Brotaufstriche und Suppen. Erdmann-Nitsch will so auf den Trend reagieren, dass Verbraucher zunehmend pflanzliche Produkte verzehren.

Verbraucher essen weniger Wurst

"In den 1980er Jahren waren mehr als 80 Prozent der Produkte auf dem typischen Frühstückstisch Wurstwaren - mittlerweile beträgt ihr Anteil nur noch 50 Prozent." Halberstädter spüre die Entwicklung über die Absatzzahlen der Wurstwaren. Derzeit ist das Unternehmen mit seinen rund 200 Mitarbeitern Marktführer im Osten bei Würstchen im Naturdarm, im Westen auf Platz sechs.

Aber nicht nur die Geschmäcker der Kunden haben sich verändert, auch das Marktumfeld hat sich gewandelt. "Vor 16 Jahren haben wir unsere Produkte noch an 80 Händler geliefert", erzählt sie. Mittlerweile gebe es mit Rewe, Edeka, Metro, Lidl und Aldi nur noch fünf Großkunden. Die Handelsketten sind über die Jahre zu Riesen herangewachsen, die den Markt dominieren. "Wenn man sich mit einem der Handelspartner verkracht und ihm keine Ware mehr liefern darf, dann kann man das finanziell nicht mehr so leicht wegstecken wie früher", erläutert Erdmann-Nitsch.

Drei der großen Handelsketten besitzen nunmehr auch eigene Fabriken, die Wurst- und Fleischwaren herstellen. Lediglich Randartikel kaufen sie noch dazu. Wichtiger denn je ist für das Halberstädter Unternehmen deshalb sein Status als Spezialitätenhersteller geworden. Die traditionelle Kaminräucherung mit Buchenholzfeuer und die langen Reifezeiten von 24 bis 36 Stunden geben den Würstchen einen rauchigen Geschmack. "Wenn wir nichts Einzigartiges hätten, wären wir austauschbar, denn billig auf Masse produzieren kann heute jeder."

Markt für Fertiggerichte wächst stark

Ein Traditionsprodukt alleine macht aber noch nicht den Erfolg. Es bedarf stets neuer Ideen. "Vor 20 Jahren haben wir unsere Würste noch in Dosen verkauft", erzählt Erdmann-Nitsch. Auch das hatte eine lange Tradition, denn Firmengründer Friedrich Heine war es, der 1883 als weltweit erster Unternehmer Brühwürste in Konservendosen angeboten hatte.

Doch Zeiten ändern sich: "Die Kunden heute wollen die Würstchen schon beim Kauf sehen, deshalb stehen sie fast nur noch in Gläsern im Regal", erklärt Erdmann-Nitsch. Damit nicht genug: Das Unternehmen hat sein Sortiment in den vergangenen Jahren stark erweitert, mittlerweile verkauft es unter anderem auch Fertiggerichte. "Vor drei Jahren haben wir Mikrowellenbecher herausgebracht, weil der Markt für Fertiggerichte wächst", erläutert Erdmann-Nitsch. "Das hängt auch damit zusammen, dass die Verbraucher selbst nicht mehr so viel Wert darauf legen, kochen zu können."

Tochter setzt eigene Marke durch

Einen schleichenden Abschied vom Wurstgeschäft wolle sie nun mit den vegetarischen Brotaufstrichen nicht einleiten, es gehe nur darum, neue Kunden anzulocken. "Der Mann ist und bleibt die größte fleischfressende Pflanze auf der Welt, aber wir wollen auch jungen Frauen etwas bieten, die heutzutage weniger Fleisch essen", erklärt Erdmann-Nitsch. Auch für Kunden, die besonders auf ihre Gesundheit achteten, seien die Kreationen attraktiv. "Der Idee mit den vegetarischen Produkten stand auch mein Vater offen gegenüber", erzählt Erdmann-Nitsch. "Bei uns gab es allerdings eine lange Diskussion darüber, ob es richtig war, für die Produkte eine eigene Marke zu schaffen."

Senior-Chef Ulrich Nitsch hätte die Brotaufstriche lieber unter der Marke Halberstädter vertrieben, doch seine Tochter hat sich durchgesetzt und verkauft die Suppen und Brotaufstriche mit Paprika und Zucchini, Spinat und Kräutern sowie mit Curry und Papaya nun unter der Marke "halvega". "So irritieren wir nicht unsere Kunden und bislang gibt mir der Handel auch Recht." Als erste Handelskette hat Edeka die Aufstriche nun gelistet. Erdmann-Nitsch hofft, dass weitere Ketten folgen.